International
Wirtschafts-Nobelpreisträger kritisiert IWF-Politik
Vortrag in Wien: "Nicht Globalisierung ist schlecht, sondern was Regierungen daraus machen"
Wien - Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz hat
bei einem Festvortrag am Mittwoch in Wien einmal mehr die Politik des
Internationalen Währungsfonds (IWF) heftig kritisiert. Fast allen
Entwicklungsländern gehe es nach der Anwendung von IWF-Rezepten heute
schlechter als vor zehn Jahren. Auch die unter Thatcher und Reagan
beliebte Privatisierungspolitik habe sich nicht bewährt, sagte
Stiglitz in seiner Rede anlässlich des 75-jährigen Bestehens des
österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), bei der er
Phänomene der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik einer kritischen
Beurteilung unterzog. Eine zu rasche Privatisierung in Kombination mit einer
Liberalisierung des Kapitalmarktes sei gleichsam "eine Einladung für
Desaster", sagte Stiglitz. Dafür lege eine lange Reihe von
Finanzkrisen in den vergangenen Jahren beredt Zeugnis ab,
Südostasien, Russland und Argentinien seien nur die aktuellsten
Beispiele. Durch die - vom IWF nahegelegte - Kombination aus
voreiliger Privatisierung und Liberalisierung der Kapitalmärkte seien
zahlreiche Entwicklungsländer in die Krise geschlittert. Kein Wunder:
Nicht einmal das Finanzsystem der USA könnte dem schlagartigen
Hereinströmen von Dollarmilliarden über Nacht standhalten.
Siglitz: Demokratische Legitimation fehlt
Viele wirtschaftspolitische Entscheidungen würden ohne
demokratische Legitimation fallen: Im Internationalen Währungsfonds
(IWF) verfügten de facto nur die USA über ein Vetorecht. Der IWF
handle einschneidende Maßnahmen für einzelne Länder nur mit den
Finanzministern und Notenbankgouverneuren aus, sonst habe dabei
niemand eine Stimme.
In den Ländern Mittel- und Osteuropas und insbesondere in
Russland, wo die zentrale Planwirtschaft scheiterte, lägen zum Teil
auch zehn Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Einkommen
unter dem Niveau von vor 1989. In Russland setze sich die Überzeugung
durch, "dass die Marktwirtschaft noch schlimmer ist, als die
Kommunisten damals behaupteten", so der Befund des Nobelpreisträgers.
Globalisierung nicht schlecht
Nicht die Globalisierung selbst sei schlecht, mitunter aber das,
was Regierungen aus ihr machten. Zum ersten Mal befänden sich heute
alle drei großen Wirtschaftsräume, die USA, Japan und Europa, im
Abschwung. Der Terrorismus sei die dunkle Seite einer globalisierten
Welt. Globale Probleme wie Umweltverschmutzung, die globale Erwärmung
oder der Kampf gegen AIDS müssten gemeinsam behandelt werden, die
Finanzierung könnte beispielweise durch Sonderziehungsrechte oder
durch eine Tobin-Steuer erfolgen.
Stiglitz, der u.a. Berater von US-Präsident Bill Clinton und
Chefökonom der Weltbank war, wurde im Vorjahr für seine Theorie von
der Unvollkommenheit der Märkte mit dem Nobelpreis für
Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. (APA)