Wien - Gerade hat das Institut für Demographie (IfD) der Akademie der Wissenschaften seinen 25. Geburtstag gefeiert. Quasi als Präsent wurde die Dotierung des Instituts erhöht, um es zum Nukleus eines Europanetzes zu machen. Die nötigen Impulse sollen von Wolfgang Lutz kommen, dem Leiter des Bevölkerungsprojekts am Internationalen Institut für Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg. Er ist mit Jahresbeginn Richard Gisser als geschäftsführender IfD-Direktor nachgefolgt. Bisher war das Institut mit seinen zehn Mitarbeitern nicht gerade fürstlich ausgestattet. Das hing vermutlich auch mit der Geschichte der Demographie in Deutschland und Österreich zusammen, die nach 1945 in eine Art Totenstarre verfiel. "Lange Zeit wollte niemand das Wort Bevölkerungspolitik auch nur in den Mund nehmen", berichtet Gisser dem STANDARD, weil die Demographie durch den Missbrauch der Nazis ihr Ansehen verloren hatte. 1975 aber brauchte die österreichische Regierung für ihre Planungen und Prognosen aber dringend wieder Demographen - das Statistische Zentralamt reichte nicht mehr aus. Daher beschloss die Akademie, das brachliegende Forschungsfeld neu zu beackern, und gründete das IfD. Aus dem damals einen Mitarbeiter sollen nun 25 werden, denn der Forschungsbedarf ist groß. Gearbeitet wird in zwei Bereichen: in Theorie und Grundlagenforschung sowie angewandt. Denn: "Trotz aller Bemühungen wissen wir immer noch viel zu wenig darüber, wie es mit der Bevölkerungsentwicklung weitergeht", sagt Lutz. "Jetzt haben die Österreicher durchschnittlich noch 1,3 Kinder. Wird die Reproduktionsrate weiter sinken oder wieder ansteigen, weil das Ideal nach wie vor bei zwei Kindern liegt? Wir müssen mehr über die Determinanten des reproduktiven Verhaltens lernen." Ähnlich unbestimmt sind die Prognosen für andere Gebiete, Migration etwa oder Langlebigkeit. Dazu gibt es zwei Denkschulen, weiß Lutz. "Die eine sagt, es gebe ein biologisches Alterslimit, dem wir uns asymptotisch annähern. Die andere sagt, wir seien meilenweit von einem Maximum - vielleicht 115 Jahre - entfernt. Vielleicht gebe es aber auch überhaupt kein Limit, weil Altern nur eine Abnutzungserscheinung ist." Die Antwort darauf ist von großer Tragweite, etwa für die Prognose der über 80-Jährigen. Lutz: "Derzeit in Westeuropa knapp vier Prozent, könnten es in 100 Jahren noch immer so wenige sein, vielleicht aber auch - das ist am wahrscheinlichsten - 20 Prozent. Oder 40 Prozent - wenn die Lebenserwartung weiter stark zunimmt. Was das für die Gesellschaft bedeutet, ist kaum auszudenken." Mit so einem Unsicherheitsfaktor lässt sich in der Politik nicht seriös planen. Daher wollen sich die Demographen nun international effizienter vernetzen. Auf europäischer Ebene, wo bisher kaum komparativ geforscht wurde, haben sie sich gerade mit den wichtigsten Instituten in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland zum European Demographic Research Ensemble zusammengetan, das in Wien koordiniert wird. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 1. 2002)