Innsbruck - Jenseits der aktuellen Klimaerwärmungsdebatte befasst man sich am Institut für Geographie der Uni Innsbruck damit, was passiert, wenn das Klima sich langfristig ändert. Das Interesse gilt dabei jedoch nicht der Zukunft, sondern der Vergangenheit. In einem vom Wissenschaftsfonds finanzierten Projekt gelang es nun, einen bisher "weißen Fleck" im Wissen um die Klimaverhältnisse am Ende der letzten Eiszeit mit Daten zu füllen. Die Spätglazial genannte Epoche war geprägt von heftigen, rasch ablaufenden Klimaschwankungen. Oft innert weniger Jahrzehnte gab es Unterschiede von fünf Grad Celsius und mehr. Die Gletscher reagierten auf diese Wechsel mit Schwankungen in ihrer Ausdehnung. Daher lassen die während der Vorstöße abgelagerten Moränen Rückschlüsse auf das Klima jener Zeit zu. Aus Pollenanalysen kennt man die damaligen Temperaturverhältnisse einigermaßen und kann damit aus den Gletscherdaten die Niederschlagssummen abschätzen. Diese wiederum geben viele weitere klimatische Informationen, etwa die atmosphärische Zirkulation. Ein Phänomen dieser Zirkulation, nämlich der Hochnebel, war es auch, das den Oberösterreicher Hanns Kerschner nach drei Semestern Geographiestudium von Wien nach Innsbruck trieb. Missing Link Unter seiner Leitung untersuchten Geographen die Ferwall- und die Silvrettagruppe auf ihre spätglazialen Gletscherausdehnungen, Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse speziell während der "Jüngeren Dryas", die vor 12.650 Jahren begann und knapp 1000 Jahre dauerte. Als weitgehend unbearbeitete Gebiete am Westrand der heimischen Zentralalpen zwischen den gut erforschten Schweizer Gletschern im Westen sowie den Stubaier und Ötztaler Alpen im Osten stellen sie eine Art Missing Link dar. Mit den Erkenntnissen des Projekts kann man davon ausgehen, dass die Sommertemperaturen im Untersuchungsgebiet während der Jüngeren Dryas 3,5 Grad Celsius niedriger waren als heute, wogegen die Niederschläge im Westen und Norden zu Anfang den heutigen ähnlich waren. Mit Fortschreiten der Jüngeren Dryas blieb es kalt und wurde - wie in den Alpen allgemein - zunehmend trockener, durchschnittlich fiel in der Silvretta- und in der Ferwallgruppe um 30 Prozent weniger Niederschlag als heute. Das bisher lückenhafte Bild vom Klimageschehen in den Zentralalpen gewinnt an Klarheit. Problematisch bei solchen Rekonstruktionen ist die Datierung der Moränen, denn die sonst gängige Radiocarbon-Methode liefert nur sehr ungenaue Ergebnisse für Zeiten mit rasch wechselnden Klimaverhältnissen. Als einzige Gruppe in Österreich bedient sich Kerschners Team deshalb einer neuen Technik: der Datierung mit kosmogenen Radionukliden. Die "Uhr" stellen dabei die Bildung und der Zerfall bestimmter Elemente durch kosmische Strahlung in Quarzen dar. Die Forscher brechen diese aus Blöcken, die seit Ablagerung der Moränen ungestört geblieben sind. Den Rest machen Kollegen der Teilchenphysik an der ETH (Eidgenössischen Technischen Hochschule) Zürich mit ihrem Beschleunigungs-Massenspektrometer. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 1. 2002)