Älteren, die sich noch gut an die Zeiten der Weltenteilung nach ideologisierten Blöcken erinnern können, steigen beinahe die Tränen nostalgischer Rührung in die Augen: Es ist wieder wie damals, man weiß wieder, wo Gott wohnt und der böse Feind. Heißa, war das einfach, wenn man alles Übel benennen wollte: Faschist! Kommunist! Erläuterung unnötig, Feindbild geklärt, alsbaldige Vernichtung dringend geboten. So fliegt es hin und her über die österreichisch-tschechische Grenze, als stünde man sich noch immer mit ideologischer Kalaschnikow im Anschlag gegenüber. Zwei verbal als politische Brüllaffen bewährte Volkstribunen gefallen sich in gegenseitiger Ehrerbietung nach eigener Art. Dabei offenbart sich die besondere Natur der FPÖ und ihres Schattenvorsitzenden Jörg Haider darin, dass sie selber - sich nur von Krokodilen umgeben wissend - auf jedermann einknüppeln, trifft sie aber selber ein Tritt, greinend nach Papas ordnender Hand rufen, in diesem Falle nach der des ungeliebten Bundes- präsidenten, der den armen, gescholtenen Hascherln Gerechtigkeit verschaffen soll. (Das politische - und journalistische - Personal Österreichs sollte sich übrigens endlich der korrekten Aussprache der handelnden Personen versichern, erst recht, wenn man dieselben zu beschimpfen gedenkt: Zeman spricht sich Seemann - wie unser Matrose!) Worte und Taten Die Ost-West-Block-Welt ist gottlob dahin. Damals herrschte das bleierne Prinzip der Nichteinmischung, das noch dem übelsten Regime in seinem Rahmen freie Hand ließ. Das neue Prinzip der Einmischung ist der eigentliche Gewinn der großen Weltenwende vor zwölf Jahren. So ist Protest und Widerpart aus Österreich gegen eine verfehlte, veraltete, menschengefährdende Technik - gleichgültig, wie nah, wie fern - nicht nur erlaubt, sondern geboten - und segensreich für den zähen Umdenkprozess in der EU. Aber Form und Methode der Einmischung? Zemans Faschisten-Vorwurf - das "Post-" hätte er sich wahrscheinlich gerne verkniffen - ist Verbalinjurie, politischer Haudrauf. Das Volksbegehren jedoch - einmal davon abgesehen, dass es auf lügenhaften Vorspiegelungen den eigenen Leuten gegenüber fußt - hätte andere Auswirkungen, ließen sich seine politischen Forderungen wirklich exekutieren: Der Ausschluss Tschechiens wäre eine Zwangsmaßnahme, ein Akt der aktiven Diskriminierung, gleichsam politische Gewaltanwendung. So betrachtet hat Haider den richtigen Vergleich mit den Panzern des Jahres 1968 in Prag gewählt, freilich nicht bedenkend, dass dieser ihn eher trifft als Zeman. Ein Gewaltakt übrigens, den der große Rest der EU so sicher nicht dulden würde, der Österreich in der europäischen Rangordnung noch hinter die Position des politischen Schmutzfinken Berlusconi zurückwürfe. (Zur Erinnerung übrigens: Der rasche Schwenk auf die "Sanktions"-Linie der EU nach Bildung der FPÖ-ÖVP-Regierung, heute wieder und wieder zitiert, war von Wien selbst provoziert: Sofort hatte die Rechtsregierung im Thema Benes-Dekrete herumzustochern begonnen, in der schmerzlichsten Wunde der tschechischen Gesellschaft überhaupt.) Tatsächlich hat Prag die nachbarlichen Einwände und Ängste gegen Temelín nie begriffen, nie wirklich ernst nehmen wollen. Jedes Kernkraftwerk, welcher Art oder wo auch immer auf dem Globus, ist von Übel, darin ist der österreichischen Willensgemeinschaft vorbehaltlos beizupflichten (warum eigentlich nur Temelín?), und diese gefährliche Technik zu bekämpfen ist sicher den Schweiß der Edelsten, vielleicht sogar die Lügen der Gaukler wert. Deshalb müssten zumindest geübte Zyniker dem Volksbegehren dennoch einen überwältigenden Erfolg wünschen: Denn diese "freiheitliche" Partei, die doch noch kein einziges ihrer vollmundigen Versprechen zur Gänze gehalten hat, wäre diesmal genötigt, konsequent bei den Aussagen ihrer Fenster-hinaus-Aktion zu bleiben, also wirklich auf Vetokurs. Was zur logischen Folge hätte, dass sich die Europa betont zugetane Volkspartei, hätte sie so etwas wie Selbstachtung, einen anderen Partner suchen müsste, spätestens dann, wenn die endgültigen Aufnahmeformalitäten für die Beitrittsanwärter anstehen. Das könnte mit dem nächsten Wahltermin in Österreich ziemlich genau zusammenfallen. Alte Emotionen Dass die Stimmung zwischen der Tschechischen Republik und Österreich nachhaltig gestört sein wird, nimmt die FPÖ gerne in Kauf, wünscht sie sich sogar, denn politische Spalternaturen brauchen Feinde, ohne die sie nicht leben können, wie Vampire ohne Frischblut. Neu ist dieser Umstand freilich nicht. Nur ein neuer Anlassfall fördert alte Emotionen neuerlich zu Tage. Hier leben historische, nachbarliche und verwandtschaftliche Animositäten fort. Hier beschimpfen sich ja Vettern über den gemeinsamen Gartenzaun. Vettern, die sich über den Grad ihrer Verwandtschaftsbeziehungen gar nicht klar sind, weil sie sich jeweils noch immer nicht ihrer eigenen Rolle in Mitteleuropa sowie ihres Bildes als Nation vor sich selbst sicher sind. Beide fühlen sich in ihrem Selbstfindungsprozess von dem ach so ähnlichen Nachbarn ertappt, behindert. Die patriotische Aufwallung, die nach Selbstaussagen Einzelner jetzt viele Österreicher an die Unterschriftentische der FPÖ treibt, nur weil der Rüpel Zeman den Rüpel Haider einen Rüpel genannt hat, belegt deutlich: Ein massives Grundmuster dieser Aktion ist der antitschechische Reflex. *Der Autor ist Österreich-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Wien. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 18. 01. 2002)