In den Siebzigerjahren konzentrierte sich alle Hoffnung der ÖVP auf die Länder und Gemeinden: Auf dem mehr oder weniger flachen Land, da waren die Schwarzen stark - und aus dieser Kraft würde die Volkspartei die Kraft schöpfen, wieder stärkste Partei zu werden. Allenfalls eines könnte den Aufschwung verhindern: die Eigenbrötlerei der Bünde.

Zur Erinnerung: Das war zu einer Zeit, als die ÖVP Wahlergebnisse zwischen 42 und 44 Prozent erzielt hat. Inzwischen muss man in der ÖVP schon froh sein, wenn die Umfrageergebnisse nicht weit unter den knapp 27 Prozent liegen, die sie 1999 erreicht hat. Die Meinungsforscher zeichnen ziemlich ähnliche Kurven. Tendenz: fallend.

An den Bünden kann es nicht liegen: Von dort sind in letzter Zeit keine Querschüsse gegen die Bundespartei gekommen. Allenfalls könnte man den Teilorganisationen vorwerfen, dass sie in der breiten Öffentlichkeit zu wenig präsent sind - aber das wäre nach der Kritik der letzten Jahrzehnte ungerecht. Denn die Bünde betreiben genau das, was ihnen aufgetragen ist: Sie betreuen ihre Mitglieder und organisieren die politische Arbeit in den Interessenvertretungen. Jeder fein für sich, keiner gegen den anderen und zumindest an der Spitze niemals gegen die Partei und ihre Regierungsmitglieder.

Diese parteiinterne Harmonie mag das politische Alltagsgeschäft erleichtern. Und das ist unbestreitbar ein Erfolg von Wolfgang Schüssel. Unter ihm ist die ÖVP zur Ruhe gekommen: Er lädt am Jahresanfang zu eher unverbindlichen Diskussionsrunden - das gibt ein besseres Medienecho als die Dreikönigstreffen vergangener Jahrzehnte. Diese Treffen der höchsten Parteifunktionäre aus Bund und Ländern, die unter früheren Obmännern regelmäßig zu Personaldiskussionen geführt haben, sind unter Schüssel abgeschafft worden.
Um eine Partei als vertrauenswürdig und erfolgreich zu positionieren, reicht es aber nicht, wenn man stolz sagen kann, dass ihr Obmann unumstritten ist. Es reicht auch nicht, darauf hinzuweisen, dass er - immerhin - Bundeskanzler ist. Und auch die gelegentlich hingeworfenen Happen ("Arbeiten bis 65", "Neutralität so folkloristisch wie Mozartkugeln") sind zwar ein gutes Futter für Medienleute, dem Image der Partei haben sie nicht geholfen. Wenn sich die Österreicher überhaupt ein Bild von der ÖVP machen, dann ist es das einer kalten, unsozialen Partei, die für Interessen steht, die die meisten nicht teilen: Mit Kirche, Bauern und Nato hat man eben im Alltag wenig zu tun.

Was den Parteistrategen noch mehr zu denken geben müsste: Hohe Kompetenz wird der ÖVP nur in zwei ihrer Kernbereiche - Sicherheitspolitik und Wirtschaft - zugebilligt. Andere Schlüsselbereiche (in denen sie zum Teil seit Jahren Regierungsverantwortung trägt) sind dagegen völlig unterbelichtet. Sei es das "grüne" Thema Umwelt, sei es die Steuersenkung, sei es die Familienpolitik - alles unter ferner liefen. Und die Bildungspolitik, mit der alle Familien direkt oder indirekt erreicht werden könnten, dümpelt irgendwie unbeachtet dahin.

Und wie sieht es dort aus, wo man immer Hoffnung hatte, in Ländern und Gemeinden? Dort verschwimmt das Bild der ÖVP völlig - selbst der Tiroler Landesparteichef Herwig van Staa ist über eine Namensliste Bürgermeister geworden. Und die Landesparteien schmücken sich mit eigenen Identitäten. Das mag helfen, in der Provinz zu gewinnen. Aber das wichtigste Ziel, bestimmende Kraft in der Republik zu sein und zu bleiben, wird verfehlt.

(DerStandard,Print-Ausgabe,9.1.2002)