Berlin - Entvölkerte Stadtviertel, leer stehende Wohnungen, geschlossene Schulen und Geschäfte: Die Verwaltungen vieler deutscher Großstädte müssen mit dramatischem Einwohnerverlust in den kommenden Jahrzehnten rechnen, sagen Experten voraus. Die Entwicklung birgt sozialen Sprengstoff und finanzielle Probleme.Derzeit schrumpfe die Bevölkerungzahl hauptsächlich in Ostdeutschland, sagt Heinrich Mäding, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin. Viele Städte dort hätten bereits 15 bis 20 Prozent ihrer Einwohner verloren. Von ihrem Wegzug profitierten zwar vorübergehend die westdeutschen Städte. "Das Thema Bevölkerungsschwund wird in der Zukunft aber auch auf Westdeutschland zukommen", sagt Mäding. "Verliererstädte" Der Grund liege im vorausgesagten Bevölkerungsrückgang in Deutschland um zehn Millionen Menschen bis zum Jahr 2050, der sich mit dem Trend zum Wegzug in Vororte überlagere. "Die meisten Großstädte verloren bisher Einwohner durch die klassische Stadt-Umland-Wanderung, die Stadtregionen als Ganzes aber wuchsen an. Das wird sich in den nächsten 20 Jahren ändern", erläutert der Forscher. "Regionen wie Hannover, Wolfsburg, Braunschweig und Kassel werden zu den Verlierern gehören." Nach Ansicht von Folkert Kiepe, Beigeordneter für Stadtentwicklung beim Deutschen Städtetag in Köln, werden nur das Rhein-Main-Gebiet, Hamburg, München, Stuttgart und die Rheinschiene von dieser Entwicklung verschont bleiben. "Junge Leute suchen Arbeitsplätze und gehen dahin, wo wirtschaftliche Dynamik ist." Als einzige Großstadt vom Bevölkerungsschwund verschont blieb bisher Köln. Grund seien nicht nur großzügige Eingemeindungen, sondern auch die umfassende Stadtteilentwicklung, erklärt Kiepe. Es sei nicht alles im Zentrum, sondern "einiges auch in den Stadtteilen angesiedelt. Was alle eint, ist der Dom, ansonsten denken alle Kölner in Vierteln." Das Schrumpfen der Großstädte birgt viele Probleme. "Die Armen und Ausländer werden sich in den Städten konzentrieren. Die Einwohner, die Städte verlassen, sind die gut Verdienenden", sagt Kiepe. "Das gibt sozialen Sprengstoff, wie er in Frankreich schon zu sehen ist." Mehr Wettbewerb Eine Konsequenz dieser Entwicklung werde ein stärkerer Wettbewerb der Städte untereinander sein, sagt Mäding. Die Stadtverwaltungen müssten sich etwas einfallen lassen, um ihre Attraktivität zu steigern. Ausschlaggebend sei eine hohe Wohn-Umfeld-Qualität mit wohnungsnahen Grünflächen und sicheren Verkehrsverhältnissen für die Kinder. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20. 1. 2002)