Einst traten Andreas Khol und Peter Westenthaler als politische Zwillinge auf, einander huldvoll zugetan, immer einer Meinung, ein Abziehbild des guten Willens in der jungen Koalition. Da half der ÖVP-Klubmann bei passender Gelegenheit auch gerne mit, den Innenminister in Fragen des Ausländerrechts und dem, was manche unter Terrorbekämpfung verstehen, über den Tisch zu ziehen. Das umso leichter, als es sich Ernst Strasser aufgrund seiner guten Umfragewerte leisten konnte und wollte, gegenüber dem Bundeskanzler auch einmal ordentlich frech zu sein.

Strasser ist derzeit auch der einzige Spitzenpolitiker in der ÖVP, der sich den Koalitionspartner nicht himmelblau strahlend malt, sondern deutliche Worte findet, wenn Wolfgang Schüssel noch um Gelassenheit ringt oder gar Verständnis für Jörg Haiders Ausritte äußert.

Und jetzt ist es ausgerechnet Andreas Khol, der als Feindbild der Freiheitlichen herhalten muss. Auf jeder Parteiveranstaltung der FPÖ - und derzeit gibt es viele, vor allem in Kärnten - wird ein Kasperltheater aufgeführt, bei dem ein Krokodil namens Khol vor den Vorhang gezerrt wird und ordentlich Prügel bezieht. Ein Haiderspaß, wenn der Landeshauptmann selbst die Klatsche schwingt.

Es ist symptomatisch für den Zustand der Koalition, dass einer ihrer wesentlichen Architekten derart vorgeführt wird. Mit so einem Regierungspartner braucht die ÖVP keine Feinde mehr. Aber Khol nimmt es in Demut hin. Fast schon ein Kunststück, wie gelenkig sich der Verfassungsjurist dem Diktat der politischen Pöbelei beugt.

Dabei wäre es gerade jetzt an der Zeit, die Spannkraft des Verfassungsbogens, mit dem der ÖVP-Klubobmann so gerne Maß nimmt, was in einem Rechtsstaat und einer Demokratie gerade noch erträglich ist und was schon jenseits liegt, noch einmal zu überprüfen - und den Bogen nachzuspannen. Jörg Haider spricht doch deutlich aus, was er vom Rechtsstaat, der Verfassung und der Demokratie hält: Selbst wenn die Abgeordneten im Nationalrat mehrheitlich zur Auffassung gelangen sollten, dass dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes im Streit um die zweisprachen Ortstafeln Folge zu leisten sei, würden "meine freiheitlichen Freunde in der Regierung" eine Umsetzung der neuen Regelung verhindern.

Damit stempelt der Kärntner Landesfürst seine "Freunde in der Regierung" ganz offen zu Marionetten seiner Schattenherrschaft ab. Die Regierungsmitglieder der FPÖ werden zu Vasallen der Haiderschen Großmannssucht herabgewürdigt, und er schafft ihnen unverhohlen Rechtsbeugung, wenn nicht Rechtsbruch an.

Eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, die umgehend Konsequenzen nach sich ziehen müsste, auch wenn Rücktrittsaufforderungen bereits inflationär geworden sind. Aber in Tagen wie diesen, da die Koalition im Schatten von Temelín um ihr Überleben ringt, wird so manche Ungeheuerlichkeit zur politischen Norm. Da muss sich der Tross der ÖVP schon sehr zwingen, die zum Prinzip erklärte Gelassenheit des Kanzlers äußerlich ruhig zu ertragen, um nicht die Ablauffrist der Koalition jäh zu verkürzen. In dieser Übung gibt sich Klubobmann Khol schon zufrieden, wenn Haider meint, die Rücktrittsaufforderung an ihn sei eigentlich gar keine gewesen. Haider habe doch lediglich gemeint, "wenn man schon jemanden zum Rücktritt auffordere, dann einen Abgeordneten, der wie Khol zum Rechtsbruch aufgefordert habe". Wie könnte man das auch falsch verstehen? "Die Dinge sind wieder im Lot", sagt Khol. Genügsam ist er geworden.

Die Leidensfähigkeit der ÖVP grenzt zurzeit an Selbstaufgabe. Martin Bartenstein, als Rechtsverbinder zur FPÖ in den letzten Tagen ein wenig eingekrampft, sieht immerhin einen "Schatten über der Regierungsarbeit" liegen. Das Gewitter, dessen Wolken diesen Schatten vorausschicken, kommt aber erst: Wenn sich eine Million Unterschriften über der Koalition entlädt. Eine reinigende Wirkung ist dabei auszuschließen.

(DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2002)