Wien - Eigentlich ist Fusion eine Sache des Pop oder Jazz. Und meist haftet diesem Begriff, der auf Stilverschmelzung verweist, auch etwas Fragwürdiges an. Doch wenn zwei Salzburger Formationen mit ähnlichen stilistischen Präferenzen aufeinander treffen, wie das Hagen Quartett und die Camerata, dann zerstreuen sich solche Bedenken rasch. Grund dieses Zusammenschlusses im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses, der die Mitglieder des renommierten Streichquartetts als Solisten vor das Kammerorchester treten ließ, war ein doppeltes Jubiläum: Vor fünfzig Jahren hatte Bernhard Paumgartner die Camerata academica gegründet; dreißig Jahre später, als die Camerata bereits von dem legendären Geiger Sándor Végh geleitet wurde, trat ein blutjunges Geschwistergeviert aus zwei Zwillingspaaren in Lockenhaus erstmals an die Öffentlichkeit: das Hagen Quartett, das sich bald einen Weltruf erwerben sollte. Üblicherweise halten sich solch verwandtschaftliche Formationen nicht sonderlich lang im ziemlich harten Klassikbusiness. Rasch Ersatz Und so verwunderte es nicht, dass Angelika Hagen, die anfangs die zweite Geige spielte, bald eigene Interessen verfolgte. Mit Annette Bik, der nunmehrigen Primaria des Klangforum Wien, war jedoch rasch ein hervorragender Ersatz gefunden, der eine ganz eigene Farbe in das ohnehin erstaunlich kontrastreiche Quartett brachte. Diese frappierende Mischung aus selbstverständlicher geschwisterlicher Übereinstimmung und markanten Eigenprofilen, die durch den derzeitigen zweiten Geiger Rainer Schmidt eine fruchtbare Ergänzung fanden, macht wohl das Spezifische des Hagen Quartetts aus, das nach erfreulich unprätentiösen und unromantischen Interpretationen der Werke Mozarts und Schuberts nicht nur den Weg zu Beethovens Streichquartetten, sondern auch zu Leos Janácek, Béla Bartók und Dmitrij Schostakowitsch fand. Während sich das Hagen Quartett der Aufträge kaum erwehren kann, durchlebt das mittlerweile zur Camerata Salzburg umgetaufte Kammerorchester doch recht schwierige Zeiten. Viel beschäftigt Seit dem Tod von Sándor Végh, der unverwechselbare Farben aus dem überwiegend mit Absolventen und Studierenden der Universität Mozarteum besetzten Orchester zauberte, fehlt es der Camerata zurzeit ein wenig an eigenem klanglichen Profil. Den viel beschäftigten Dirigenten Sir Roger Norrington zum neuen Chef zu küren war wohl keine sehr kluge Entscheidung, denn junge Formationen benötigen eine kontinuierliche Führung, wie sie das Hagen Quartett in den Anfängen durch Walter Levin und vor allem durch Geiger Gidon Kremer besaß. Welches Potenzial in der Camerata steckt, ließ sich am Jubiläumsabend im Konzerthaus selbst ohne einen Dirigenten erkennen. Zumal dann, wenn mit Clemens Hagen bei Schostakowitschs Cellokonzert ein Vollblutmusiker als Zugpferd fungiert, der nicht nur den ironischen Tonfall, sondern auch die (an)klagende Innigkeit des Werks mit spielerischer Leichtigkeit trifft. Kleine Überraschung Umrahmt wurden die rasenden Synkopen von Schostakowitsch und das Concerto funebre von Karl Amadeus Hartmann (mit Rainer Schmidt als Solisten) von Haydns Symphonie La Roxolane und Mozarts Sinfonia concertante . Eine kleine Überraschung: Nicht Veronika Hagen spielte neben dem gewohnt schlank phrasierenden Lukas Hagen den Bratschenpart, sondern dessen Ehefrau Iris Hagen-Juda. Bei den Hagens bleibt eben alles doch in der Familie, selbst wenn sich diese vergrößert - Veronika erwartet nämlich ein Baby. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 1. 2002)