Wien - "Tschechiens politisches Problem Nr. 1 ist die Korruption." Darin stimmt Cyril Svoboda, Vorsitzender der tschechischen Christdemokraten (KDU-CSL) und De-facto-Oppositionsführer, mit dem Soziologen Pavol Fric von der Prager Karlsuniversität überein. Die Frage sei nur, wie man dies auch zum Hauptthema der Parlamentswahlen im Juni machen könne. Wie berechtigt diese Frage ist, zeigte die Analyse, die Fric bei einer Veranstaltung der Diplomatischen Akademie und des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) präsentierte: Die (Partei-)Politik sei durch völliges Fehlen von Visionen gekennzeichnet, nur das Wirtschaftswachstum zähle. Es herrsche die allgemeine Ansicht, dass es sich die politischen, wirtschaftlichen und bürokratischen Eliten richten. "Es gibt nur zwei Kategorien von Bürgern: Korruptionsgewinner und Korruptionsverlierer." Die Folgen: "Ein tiefes Gefühl von Ungerechtigkeit, Neid und moralische Resignation."

Kampf gegen Korruption, echte Dezentralisierung und Reform des öffentlichen Dienstes hielte Fric für die zentralen Themen des Wahlkampfes. Zugleich aber ist er tief skeptisch: "Die Wahlen werden keine grundlegenden Reformideen bringen."

Svoboda (die von seiner Partei angeführte Mitte-rechts-Koalition "4K" liegt in den Umfragen vorn) sieht eine Ursache der Verhältnisse darin, dass "einige Leute schon zu lange an der Macht sind". Und dies sowohl bei den regierenden Sozialdemokraten (CSSD) als auch bei der rechtsliberalen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), welche die Minderheitsregierung via "Oppositionsvertrag" parlamentarisch absichert. Ein entsprechendes Wahlergebnis vorausgesetzt, favorisiert Svoboda eine Koalition mit den Sozialdemokraten. Außenpolitische Prioritäten: rascher EU-Beitritt und "sehr gute Beziehungen zu den Nachbarn".

(DER STANDARD; Printausgabe, 16.1.2002)