Österreich
Von Engeln, Dämonen und einem Bischof aus St. Pölten
Sexualkundeskandal: Ordensfrauen zensieren Biobuchseiten
Am Anfang war die
Biologie. An der Realschule in
Auerbach in der bayerischen
Oberpfalz entfernte eine Lehrerin aus den Lehrbüchern für
Biologie 14 Seiten zum Thema
Sexualaufklärung, die sie als
unanständig empfand. Diese
Zensur rief Eltern und Schulbehörde auf den Plan, doch
der die Schule führende Orden der Schulschwestern
weigerte sich beharrlich,
komplette Bücher zu verteilen
- der STANDARD berichtete. Der
darauf folgende Konflikt hat
sich inzwischen verhärtet. Die Schwestern drohten mit
der Schließung des Schulgebäudes, die bayerische Grünen-Abgeordnete Petra Münzel forderte den Rückzug der Schwestern aus allen Bildungseinrichtungen, auch
Kindergarten und Grundschule. Denn es war ruchbar
geworden, dass die Nonnen
Kontakt mit jener Randgruppe
in der katholischen Kirche
haben dürften, die als "Opus
Angelorum" (OA) oder "Engelwerk" bekannt ist.
Das Engelwerk beruht auf
Visionen der Innsbrucker
Hausfrau Gabriele Bitterlich
(1896-1978) und vertrat zumindest bis 1993 Lehren über
Engel und Dämonen, die von
der Glaubenskongregation in
Rom als "der Kirche fremd"
verworfen wurden. Seither
wurde es ruhig um das OA,
das Einfluss bis in höchste Kirchenkreise hat. Zentrale
der Bewegung und ihrer Elitetruppe, des Kreuzorden genannten "Ordens der Regularkanoniker vom Heiligen
Kreuz", ist die Burg Petersberg
bei Silz in Tirol. Durch den Schulskandal
wurden Praktiken der Auerbacher Schulschwestern bekannt, die tatsächlich auf eine
Nähe zum Engelwerk schließen lassen: ständige Warnungen vor Hölle und Teufel, rigorose Kleiderordnungen (keine
kurzen Röcke oder ärmellose
Oberteile), angstmachende
Exerzitien, von denen Kinder
verstört zurückkehrten. Harry-Potter-Bände gelten als Bücher, das Schlagzeug als In
strument des Teufels.
Vorwürfe an Vatikan
Der aus Auerbach stammende Theologe Johann Baptist Metz erklärte, "Fundamentalismus" sei noch ein zu
harmloses Wort für die Vorgänge, und warf dem Vatikan
Versagen vor. Inzwischen aus
dem dortigen Kloster ausgetretene Nonnen meinen, das Rad
der Zeit sei in Auerbach nicht
stehen geblieben, sondern in
den letzten Jahren sogar zu
rückgedreht worden, und sie
nennen einen Namen: Pater
Heinrich Morscher.
Dieser aus Vorarlberg
stammende Geistliche, Jahrgang 1929, eifrig als Exerzitienleiter unterwegs, gilt als
graue Eminenz im Kloster. Er
hat in den 80er-Jahren seinen
Orden, die "Missionare vom Kostbaren Blut", verlassen,
um Donate im Kreuzorden zu
werden, und hat um diese Zeit
auch Heiligenkreuzer Studenten für den Kreuzorden geworben und zur Errichtung
eines erzkonservativen Studienhauses in Mayerling beigetragen. Und er wurde nun von
Bischof Kurt Krenn in die Diözese St. Pölten aufgenommen.
Auch Richard Pühringer,
ein Mitbruder Morschers bei
den Missionaren vom Kostba
ren Blut und zeitweise wie
dieser Donate im Kreuzorden,
war wiederholt in Auerbach.
Er wirkt derzeit hauptsächlich
als Seelsorger des weiblichen
Zweiges des Kreuzordens in
Scheffau am Wilden Kaiser.
Doch Bischof Krenn sieht
bei den Auerbacher Schwestern, von denen ihm zwei in
St. Pölten den Haushalt führen, überhaupt keine Nähe
zum Engelwerk: "Das ist eine
böse Erfindung von modernistischen Hirnen in kirchlichen
Kreisen, denen diese disziplinierte Lebensweise ein Dorn
im Auge ist." Er spricht von
"viel Irrtum, Verleumdung
und viel Bosheit".
Krenn selbst hat gute Kontakte zur Engelwerk-Hoch
burg Anápolis in Brasilien -
dort hat das OA eine eigene
Hochschule, an der auch drei
junge Männer aus Auerbach
studiert haben - und hat Diakone und Priester für die Diö
zese Anápolis geweiht. Bekannt sind auch seine Förde
rung des Ordens Servi Jesu et Mariae (SJM) in Blindenmarkt
und der Gemeinschaft St. Josef
in Kleinhain bei St. Pölten,
Gruppierungen, die offiziell
mit dem Engelwerk nichts zu
tun haben wollen, aber etliche
Angehörige mit nachweislichen OA-Beziehungen auf
weisen.
(Heiner Boberski, Der Standard, Printausgabe, 16.01.02)