Berlin - "Den Holocaust hat es nie gegeben": Mit diesem paradoxen Slogan wurde im vergangenen Jahr in Deutschland für Spenden zur Errichtung des Holocaust-Mahnmals in Berlin geworben. Die Verwendung dieser Zeile ist nur verständlich vor dem Hintergrund einer Öffentlichkeit, die über die Tatsache des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden hinreichend aufgeklärt ist und jede Leugnung des Holocaust auch als Provokation durchschaut.Dass die NPD den Plakatslogan dann doch für sich verwendet hat, war nur die Bestätigung dieser Tatsache, und prompt wurde das NPD-Plakat auch von Demonstranten zerstört. In der Ausstellung Holocaust des Deutschen Historischen Museums Berlin, die heute Abend im Kronprinzenpalais Unter den Linden eröffnet wird, sind nun beide Plakate zu sehen: das intakte und das demolierte, das erinnerungspolitische und das verdrängungsneurotische. In ihrer Hängung an gegenüberliegenden Wänden sind sie der Reim, den man sich machen kann auf diese erste große Überblicksausstellung in Deutschland, die sich dem zentralen Topos in der Geschichte dieser Nation widmet. Der 60. Jahrestag der Wannsee-Konferenz markiert dazu das anlasspolitische Datum, dessen es nicht bedürfte, denn die Gedächtnisarbeit am 20. Jahrhundert wird mit jeder Initiative populärer. Der Erfolg des Jüdischen Museums Berlin, aber auch die hohen Besucherzahlen der überarbeiteten Schau Verbrechen der Wehrmacht belegen dies. Auschwitz ist dabei die Mitte eines kurzen Jahrhunderts, das mit dem Ersten Weltkrieg begann und sich nach 1989 bereits selbst zu historisieren begann. Im Kronprinzenpalais betonen die Ausstellungsmacher rund um Burkhard Asmuss den zentralen Stellenwert des polnischen Vernichtungslagers mit einer raren monumentalen Geste: Ein Modell des Krematoriums II von Mieczyslaw Stobierski erstreckt sich über neun Meter Länge und macht mit einem Blick unerhört klar, welchen Weg die Opfer der "Endlösung" zu nehmen hatten: Die Treppe in den Entkleidungskeller, die Schächte für das Gas, die Türen vor den Öfen, das alles wird als tödliche Abfertigungshalle selten so deutlich gezeigt und rechtfertigt auch den prekären Realismus, mit dem der polnische Künstler das Leid in die Gesichter der kleinen Figuren zeichnet, die sich im Todeskampf winden. Die Bilder aus Spielbergs Film Schindlers Liste am Ende der Ausstellung werden nach diesem Modell noch deutlicher in ihrer Fiktionalität kenntlich. Am Beginn aber steht jener kurze Moment in der deutschen Geschichte, als die Nation erstmals so etwas wie Verfassungspatriotismus entwickeln konnte. "Diese Frage entspricht nicht der Verfassung", schrieb der Jude Walter Rathenau in jene Rubrik seines Personalbogens, die nach dem religiösen Bekenntnis fragte. Kurz danach, 1922, wurde Rathenau ermordet, und der einzige "Prophetenton" (Sebastian Haffner), der eine aufgeklärte Alternative zu Hitler hätte geben können, verschwand aus der Weimarer Republik. Zehn Jahre später mussten die jüdischen Bürger schon Gedenkbücher an ihre Gefallenen im Ersten Weltkrieg veröffentlichen, um sich gegen die Diffamierung als "Drückeberger" zu wehren. Die zwei Stockwerke entsprechen den beiden Themenkomplexen, die ineinander verwoben und doch historisch getrennt sind: die Rekonstruktion des Geschehens bis 1945, mit Auschwitz als dem negativen Telos, und die Darstellung der Auseinandersetzung nach dem Krieg, mit Schindlers Liste als einem Fazit aus der Perspektive des Darstellungsoptimismus. Notwendigerweise können die Exponate das historische Geschehen nur mit einer ganz dünnen Außenhaut der Sichtbarkeit überziehen: Ob die Bank aus dem Nürnberger Prozess durch die Tatsache, dass Göring auf ihr saß, an Bedeutung gewinnt, ist zweifelhaft. Insgesamt jedoch ist die Ausstellung weitgehend dokumentarisch, verlässt sich auf Dokumente, deren europaweite Herkunft auch klarer macht, vor welchen Übersetzungsproblemen allein der deutsche Vernichtungsapparat gestanden haben muss. Interesselosigkeit Gleichwohl bleiben erhebliche Defizite. Die Ausstellung will gewissermaßen oberhalb der Arbeitsteiligkeit der Holocaust-Forschung ansetzen und hat nicht weniger als eine thematische Spezialgeschichte des 20. Jahrhunderts im Blick. Dadurch wird sie eigentümlich interesselos und leistet das nicht, was Hans Mommsen am Montag in der Süddeutschen Zeitung gefordert hatte: "Die lange Jahre in der deutschen Öffentlichkeit vorherrschende Vorstellung, der Holocaust habe sich ,fern im Osten' abgespielt, ohne dass die Masse der deutschen Bevölkerung davon gewusst hätte, und die Verantwortlichen seien kleine fanatische Zirkel vor allem aus Kreisen des SD und der SS gewesen, sollte durch die neue Präsentation des Geschehens endgültig ausgeräumt werden." Die deutsche Bevölkerung aber kommt kaum vor, auch nicht in Gestalt derer, die daheim entscheiden mussten, ob sie Juden versteckten oder auslieferten. Die Bevölkerung von damals ist selbst "Objekt" dieser Ausstellung, die viel Propagandamaterial präsentiert, viele Bücher zeigt, in denen Rassentheorien nachzulesen wären, und in Vitrinen die Uniformen präsentiert, in die man sich stecken ließ, wenn man auf die Seite der "Subjekte" wechseln wollte. Der Holocaust, wie er im Deutschen Historischen Museum gezeigt wird, war ein komplexes Geschehen an vielen Orten und mit vielen Opfern - aber es fehlt ein präziser Begriff dafür, wie sich Täterschaft manifestierte. Dies ist natürlich das zentrale Thema der Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht, die ihre nächste Station in Bielefeld haben wird. Die Holocaust-Ausstellung aber ist so etwas wie eine Generalprobe für die Informationsstelle, die am Holocaust-Mahnmal in Berlins Mitte errichtet werden soll. Zu deren Gelingen ist es unumgänglich, dass sich auch die Deutschen darin wiederfinden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.01.2002)