Kolumbien
"Was? Ihr habt keinen Krieg in Österreich?"
Kinder mitten im Kriegsgebiet - Friedensprozess im Kleinen: Die Errichtung einer Schule beendete die Massaker
El
Dorado/Wien - "Was? Ihr
habt gar keinen Krieg in Österreich?" Yolanda zweifelt zunächst. Nachdenklich starrt
die zwölfjährige Schülerin zu
Boden, um schließlich freudestrahlend und breit grinsend zu rekapitulieren: "Dann
habt ihr ja gar keine Toten."Die junge Kolumbianerin
und weitere 324 Mädchen und
Buben besuchen die Landwirtschaftsschule in El Dorado, einer kleinen Stadt, knappe vier Autostunden südlich
von Bogotá. Das Internat leistet einen beachtlichen Beitrag
zum Friedensprozess - zumindest in der Region Alto
Ariari, in der die Schule steht.
Die drei Gemeinden im
Westen El Dorados wurden
von den kommunistischen revolutionären Streitkräften
Kolumbiens (Farc) kontrolliert, die drei östlichen von
den rechtsgerichteten Paramilitärs. Immer wieder war es
zu Kämpfen zwischen den
verfeindeten Gruppen und zu
Massakern an der Zivilbevölkerung gekommen. Bis vor etwa zwei Jahren, als sich die
Gemeinden zur Bürgerinitiative Asociación de Municipal
del Alto Ariari zusammentaten, in El Dorado ein Internat
errichteten und seitdem ihre
Kinder dorthin schicken.
"Alle Versuche, den Friedensprozess über uns Erwachsene zu forcieren, sind
gescheitert", erklärt El Dorados Bürgermeister Enser Rondon dem Standard. "Also haben wir den Prozess über unsere Kinder aufgezogen."
Den Beginn markierte ein
gemeinsames Fest, zu dem
Sympathisanten von Guerilla
und Paramilitärs gekommen
waren. Einzige Auflage: keine
Diskussionen über Politik. Bei
diesem Fest habe man sich geeinigt, ist Rondon stolz, die
Kinder in einer gemeinsamen
Schule lernen zu lassen -
nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch Frieden.
Freilich habe es auch Gegner des Schulprojektes gegeben, erinnert der Alcalde an
ein Massaker zwei Wochen
vor Unterrichtsbeginn direkt
vor dem Schulgebäude. Vierzehn Menschen starben. Vierzehn Zivilisten. Das Projekt
wäre beinahe geplatzt, hätte
sich nicht eine Diplomatin für
dessen Fortgang eingesetzt:
die österreichische Botschafterin Marianne Dacosta. "Sie
war eine Außenstehende, gehörte zu keiner Partei", erklärt
Rondon, "darum haben wir ihr
geglaubt, als sie versprochen
hat, dass es funktionieren
wird." Über Dacosta ist das österreichische "Hilfswerk Austria" auf die Schule aufmerksam geworden, finanziert derzeit mit Spendengeldern einen Teil der Internatskosten.
In einem der Gänge hängt ein
Plakat mit dem Leitsatz: "Gegenseitiger Respekt ist die Basis für unser Leben." Diesen
aufzubringen fällt nicht immer leicht. Etwa die Hälfte aller Kinder ist direkt vom Krieg
betroffen. "Ich hasse die Guerilla. Sie haben mir jemanden
weggenommen, den ich sehr
liebe." Yolandas Vater wurde
von den Farc erschossen. Und
doch - die beste Freundin der
Zwölfjährigen ist Nodi, deren
Familie für die Guerilla
kämpfte. Yolanda weiß das.
"Paramilitärs und Farc respektieren die gemeinsame
Schule ihrer zuvor verfeindeten Gemeinden", freut sich der
Alcalde. "Da sie die Zukunft
ihrer eigenen Kinder nicht gefährden wollen, haben sie sich
zurückgezogen." Hatte es vor
Schulstart jährlich knapp 200
Tote in der Region gegeben,
starb seither niemand mehr. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 15.1.2002)