Kabul/Washington - Mit der Ankunft mehrerer Hundert Fallschirmjäger auf einem Luftstützpunkt in Kandahar haben die US-Streitkräfte zur Suche nach dem Al-Qa'ida-Führer Osama Bin Laden und dem Chef der Taliban, Mullah Mohammad Omar, aufgestockt. Die bisher bei Kandahar stationierten Marines würden nun für andere Aufgaben in Afghanistan eingesetzt, teilte das Pentagon mit.

Dass Bin Laden bei der weitergehenden Suche im Höhlensystem von Tora Bora aufgespürt wird, ist unwahrscheinlich geworden. "Ich glaube nicht, dass er noch hier oben ist", sagte Oberst John Mulholland, der Kommandant der Special-Forces-Einheiten, amerikanischen Journalisten nach einem Bericht der Washington Post. "Ich glaube, er ist entweder tot, begraben unter Tonnen von Geröll, oder er ist außerhalb des Gebiets."

Bei einer der größten Operationen der US-Marines in den vergangenen Wochen war am Mittwoch zwei Fahrtstunden westlich von Kandahar in der Provinz Helmand eine noch unversehrte Trainingsanlage der al-Qa'ida entdeckt worden. Die rund 200 Marines fanden einem Bericht der Washington Post zufolge aber nur wenig verwertbare Informationen.

Der Anführer einer Taliban-Truppe in Helmand hat unterdessen eine Auslieferung von Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar unter der Bedingung angeboten, dass die USA ihre Bombenangriffe einstellen. Bei einem Ende der Bombardements seien bis zu 1500 Kämpfer der Taliban und der Organisation al-Qa'ida zur Aufgabe bereit, berichtete ein Geheimdienstmitarbeiter am Donnerstag in der südlichen Provinz Kandahar.


Ultimatum an Omar

Dies hätten die Kämpfer in den vergangenen drei Tagen bei einem Ältestentreffen beschlossen. In der Gebirgsregion von Baghran nördlich von Kandahar halten sich nach diesen Angaben zwischen tausend und 1500 Kämpfer verschanzt. Die afghanische Regierung setzten Taliban-Führer Omar ein Ultimatum bis Samstag. Sollte er sich bis dahin nicht ergeben haben, würden die US-Streitkräfte das Gebiet um die Baghran in der Provinz Helmand bombardieren. Stammesführer, die der neuen Regierung in Kabul noch nicht ihre Loyalität erklärt haben, halten Omar dort verborgen, glaubt der Gouverneur von Helmand. Kabul begnadigte am Donnerstag an die 250 Taliban-Gefangene und übergab sie Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes. Bei den Gefangenen soll es sich allerdings um Taliban-Soldaten handeln, die zum Teil schon vor Jahren in die Hände der Nordallianz gefallen waren.

Der Chef der Übergangsregierung, Hamid Karsai, will im Februar in die USA reisen und dabei dem amerikanischen Volk für die Unterstützung beim Sturz des Taliban-Regimes danken. Der letzte Besuch eines afghanischen Staatsoberhaupts liegt fast vierzig Jahre zurück. Als der damalige König Zahir Shah nach Washington fuhr, war US-Präsident John F. Kennedy im Amt. Karsai plant für Januar Besuche in Indien und zu einer Geberkonferenz in Japan. Washington ernannte unterdessen Ryan Crocker, leitender Direktor im Außenministerium, zum Geschäftsträger der wieder eröffneten US-Botschaft in Kabul. (Reuters, DER STANDARD, Print vom 4.12.2002)