Wien - "In ganz Südostasien liegt eine Bombe im Grundwasser", berichtet Walter Kosmus, Chemie-Professor an der Uni Graz, "und in Bangladesch wird sie jetzt scharf: 55 Millionen Menschen sind von chronischer Arsenvergiftung bedroht." Andere Quellen schätzen gar 120 Millionen für Bangladesch und das benachbarte Westbengalen. Wie auch immer, das Arsen im Wasser ist laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) die "größte Massenvergiftung der Geschichte" und "überbietet weit jedes andere Umweltdesaster, von Tschernobyl bis Bhopal." Erfahrungsaustausch

Dass das Problem überhaupt existiert, wurde in den 80er-Jahren in Westbengalen bekannt, aber offiziell lange bestritten. Der indische Epidemiologe Dipankar Chankraborti hat es im Alleingang zum Thema gemacht, auf einer von ihm 1995 in Kalkutta organisierten Konferenz.

Dort traf ihn Kosmus, der Erfahrung mit Arsen in Österreichs Böden hatte. "In den Alpen hat es denselben Ursprung wie im Himalaya, es liegt in Sedimenten, die in der Eiszeit von Gletschern gebildet wurden", erklärt Kosmus, "und bei uns sind die Gehalte im Boden oft höher als in Bangladesch. Aber das Grundwasser-Problem haben wir kaum."

Fluch der guten Tat

Das liegt an der unterschiedlichen Hydrogeologie, die in den Schwemmländern und Flussdeltas Südostasiens viel Grundwasser in sauerstoffarmen Böden hält, wo Bakterien gedeihen, die das im Sediment ruhende Arsen chemisch umwandeln und ins Grundwasser freisetzen. Das wussten die internationalen Hilfsorganisationen nicht, als sie in den 60er-, 70er-Jahren mit dem Brunnenbohren begannen, um die Trinkwasserqualität zu verbessern. Bis dahin hatten die Bewohner vor allem Oberflächenwasser genutzt und sich damit Typhus, Diarrhöe und Cholera zugezogen.

Zwar fürchtete die Landbevölkerung zunächst, gewarnt von alten Legenden, das "Wasser des Teufels". Aber sie ließ sich überzeugen. Zwölf Jahre später tauchte der Spuk auf: Erste Opfer zeigten eine zerfressene Haut, die der Lepra ähnelte, weshalb viele der Erkrankten von ihren Dorfgemeinschaften geächtet wurden. Aber lange wusste niemand, woher die Krankheit kam, und der gute Wille der Brunnenbohrer war so leicht nicht zu bremsen. "Nun müssen Millionen Brunnen durchgemessen werden", bilanziert Kosmus, dessen Institut ein einfaches Gerät entwickelt und eingesetzt hat: In manchen Regionen liegen über 90 Prozent der gemessenen Brunnen über dem ohnehin hohen Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Liter (EU und USA wollen von 50 auf zehn Mikrogramm senken, landesweit ist es über die Hälfte, mit Arsen bis zum Zehnfachen des Grenzwerts. Beginn des Grauens Aber das Schlimmste steht erst bevor, und zwar jetzt: Die meisten Brunnen sind noch nicht durchgemessen, man weiß nur, dass sie jünger als zwölf Jahre sind und in den dichtestbesiedelten Regionen liegen - und dass sich die ersten Symptome der Vergiftung eben nach zwölf Jahren zeigen. "Wenn man den Menschen die Hand gibt, fühlt es sich an wie grobes Sandpapier", berichtet Kosmus vom Beginn des Grauens: Erst wird die Haut zerfressen, später der ganze Körper, von verschiedenen Tumoren, auch von Leberzirrhosen. Abhilfe ist theoretisch möglich, aber in dem bitterarmen Land mit geringer Infrastruktur und hohem Analphabetismus schwer, bisher beschränkt man sich auf das Messen und kennzeichnet die Brunnen: Aus grün angestrichenen darf man trinken, Wasser aus den roten soll nur zum Waschen verwendet werden.

Nur neue Brunnen helfen

Zwar gibt es Pläne für gigantische Großprojekte, die mit Pipelines und Kanalsystemen über Hunderte Kilometer neues Wasser heranbringen sollen. Man kann das Arsen auch chemisch aus dem Wasser fällen. Eine wirkliche Lösung wären aber nur neue Brunnen. "Man müsste sehr viel tiefer bohren als bisher", weiß Kosmus, der als erster Bohrkerne aus den Sedimenten gezogen hat und daraus ablesen kann, wo das Wasser sicher ist: "Man müsste um die hundert Meter tief hinab und bräuchte dazu aufwendiges Gerät." Die alten Brunnen sind nicht so tief, sie wurden mit der Hand gegraben oder mit einfachem Gerät gebohrt.

Auch andernorts. "In der Region von Hanoi haben wir im Trinkwasser ebenso hohe Arsengehalte wie in Bangladesch gefunden", berichtete Michael Berg von der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung in Dübendorf bei Zürich dem STANDARD, "und in vielen anderen Flussdeltas Südostasiens herrschen dieselben hydrogeologischen Bedingungen."

Man misst nur nicht überall, in Kambodscha etwa liegen noch zu viele Minen aus dem Krieg. "Und die internationalen Organisationen haben es auch nicht sehr eilig", vermutet Kosmus, "sie sind am Bekanntwerden des Skandals nicht übermäßig interessiert."

Schließlich haben manche auch nach Bekanntwerden des Problems weiter gebohrt, ohne das Wasser auf Arsen zu testen. Deshalb läuft eine erste Sammelklage von Bangladeschis vor einem Londoner Gericht gegen britische Brunnenbohrer. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 3.1.2001)