Der 54-jährige Brasilianer Paulo Coelho gilt als Meister der Sinnsucher-Fabeln. Seine Bücher wurden in mehr als hundert Ländern veröffentlicht, "Der Alchimist" ist ein Weltbestseller. Coelho sprach mit Alexandra Föderl-Schmid über die neue Wertediskussion als Konsequenz der Terroranschläge in den USA. "Sei immer Deinen Träumen treu", schreibt Paulo Coelho häufig als Widmung in seine Bücher. Er selbst wurde als Jugendlicher von seinen Eltern in die psychiatrische Klinik eingeliefert, weil er keine Neigung zu einem bürgerlichen Leben entwickelte. An seiner Suche nach sich selbst lässt Coelho, der sich als religiösen Autor bezeichnet, seine Leser teilhaben. In seinen fabelartigen Geschichten erkennen sich die Leser mit ihren Ängsten und Sehnsüchten wieder. Kritikern, die ihm seinen einfachen Sprachstil und Neigung zum Kitsch vorwerfen, entgegnet Coelho, er schreibe "für das Kind in uns allen". STANDARD: Wie hat sich für Sie die Welt nach dem 11. September geändert?

Coelho: Das war ein Symbol, ein Angriff auf Werte. Man muss jetzt wählen: Entweder wird man paranoid vor Angst. Der zweite Weg ist, ein neues Bewusstsein zu finden. Darauf sollten wir uns einlassen. Nichts rechtfertigt terroristische Attacken. Aber man kann nicht das Töten von Unschuldigen durch das Töten von anderen Unschuldigen rechtfertigen. Der 11. September bringt die Leute zum Nachdenken über die Werte, die als garantiert angenommen werden. Dabei ist gar nichts garantiert. Das ist, glaube ich, allen weltweit bewusst geworden.

STANDARD: Die Antwort der USA war aber keine Wertediskussion, sondern Krieg gegen Afghanistan. Über weitere Ziele wird nachgedacht. Kann dies zu einem religiös-kulturellen Weltkrieg führen? Coelho: Das mag sein, aber genau das müssen wir mit aller Kraft verhindern. Wir sollen über Toleranz sprechen, über die Wichtigkeit des Gesprächs. Jeder religiöse Mensch auf Erden weiß, dass alles auf Gott zurückgeht. Gott ist nicht für das gegenseitige Töten. Er ist dafür, dass wir uns unterstützen. STANDARD: Aber wurde nicht zu wenig getan, um genau diesen Zusammenprall zu verhindern? Gab es nicht eine kulturelle Ignoranz, auch vonseiten des so genannten Westens?


Coelho: Das stimmt. Andere Religionen haben sich zu wenig mit dem Islam beschäftigt, auch um Schuldzuweisungen vornehmen zu können. Wir sollten einen Dialog über unsere kulturellen Hintergründe beginnen, aber wir sollten nicht unsere Überzeugungen forcieren. Dann können wir diesen Punkt überwinden. Wenn uns das nicht gelingt, dann gibt es nur noch Zerstörung, denn das ist die Konsequenz eines religiösen Krieges. Wenn man für Gott kämpft, dann gibt es kein Zurück mehr. Bei religiösen Kriegen gibt es viele, die sich selbst opfern. Man kämpft nicht, um zu überleben, sondern um eine höhere Bestimmung zu erreichen. Das müssen wir um jeden Preis verhindern.

STANDARD: Welche Fehler hat der Westen gemacht? Coelho: Man muss zu einer kulturellen Teilhabe kommen, nicht zu einem System der Über- und Unterordnung. Man darf nicht nur den Körper füttern, sondern auch die Seele. Dann realisiert man, dass man anderen Menschen nicht erlauben darf zu hungern. Ich bin gegen jegliche Art von Embargo, sei es gegen den Iran oder Kuba. Nur der Dialog kann Klüfte überwinden und eine kulturelle Konfrontation verhindern. STANDARD: Sie sind bereits dreimal - als bisher einziger Schriftsteller - zum Weltwirtschaftsforum in Davos eingeladen worden. Greifen nicht die Globalisierungskritiker genau diese Ängste auf? Coelho: Meine Furcht ist, dass sich die Globalisierungkritiker mit religiösen Fanatikern verbinden, nicht nur islamische Extremisten wie Osama Bin Laden. Das können auch Katholiken sein oder Anhänger der so genannten Light-Religion in den USA: Die rauchen nicht, die machen dies und jenes nicht. Das ist eine Religion ohne Gott, aber es ist auch eine Religion. Sie kreiert neue Werte, neue moralische Werte und Haltungen. Wenn ich über Religionen rede, dann rede ich über Werte. STANDARD: Sie schreiben in Ihren Büchern über den Sinn des Lebens, über Liebe, über Macht, über den Kampf gegen das Böse. Lässt sich auf diese Werte alles reduzieren?

Coelho: Ja, natürlich. Österreich ist ein ist ein gutes Beispiel für den Umgang mit der Macht und dem Kampf gegen das Böse. Vor zwei Jahren wurde Österreich zum Paria der Gesellschaft, weil die Österreicher eine rechtsgerichtete Regierung gewählt haben. Als ich damals gesagt habe, ich gehe nach Österreich, haben mir viele Schriftstellerkollegen gesagt: Nein, du sollst das Land boykottieren. Aber das ist lächerlich. Es wurde generalisiert: Die Österreicher sind so . .

Sie bekamen ein Label. Jetzt heißt es: Die Afghanen sind so. Vorher hieß es: Die Serben sind so. Es ist eine internationale Tendenz zu isolieren. Wenn man klar definierte Gegner hat, kann man vieles rechtfertigen, kann auch Kriege führen. Jetzt sind die Gegner in Afghanistan, vorher in Serbien. Vielleicht noch im Irak. Man braucht immer etwas, um die Politik des Terrors zu rechtfertigen. STANDARD: Wie sieht aus Ihrer Sicht eine ideale Welt aus?

Coelho: Ich glaube, diese Welt existiert nicht. Die neue Welt ist jene, in die wir uns in Richtung Leben bewegen. Es ist nicht eine Art Himmel auf Erden. Das wäre auch sehr langweilig. Mein Ideal ist, dass wir auf der Erde eine gemeinsamen Sprache finden, dass wir diskutieren, voneinander lernen und unsere Ansichten teilen können.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31.12. 2001)