Wo verbringen die Schwalben den Winter? Schlafend im Schlamm am Grund von Teichen natürlich - das glaubte man zumindest noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Oder die Annahme, dass Schwalben und Mauersegler den Winter steif und stumm in kleinen Erdlöchern überdauern. Etwas Wahres ist an dieser Vorstellung tatsächlich: Schwalbenartige können bei schlechten Witterungsbedingungen für einige Tage in eine "Kältestarre" verfallen - so verbrauchen sie nur wenig Energie. Die Schwalben sind längst ins heiße Afrika geflogen, doch auch ohne sie wird um uns herum fleißig wintergeschlafen. Möglicherweise sogar unterm eigenen Dach:

Fledermäuse zählen zu den Insektenfressern und die halten bei uns, wie auch etliche Nager, "echten" Winterschlaf. Bekannte heimische Winterschläfer sind Igel, Murmeltiere, Ziesel oder auch Haselmäuse. Sie alle schlafen genau genommen nicht, sondern sinken in einen todesähnlichen Zustand: Ihre Körpertemperatur sinkt extrem ab, mitunter auf unter fünf Grad Celsius. Atmung und Herzschlag verlangsamen sich drastisch. Die Energie für den reduzierten Stoffwechsel kommt von den Fettreserven und zwar auch vom so genannten "braunen Fett", das rascher und mehr Energie liefert als das übliche "weiße Fett". Ausgelöst wird der Winterschlaf im Wesentlichen nicht durch die Temperatur, sondern durch die Tageslänge, gesteuert werden die physiologischen Vorgänge dabei durch den Hypothalamus.

Keinesfalls sollte ein Tier, das sich im Winterschlaf befindet, gestört werden: Das Aufwachen kostet viel Energie, möglicherweise sogar zu viel - fällt der Winterschläfer nach dem Wecken wieder in die Winterstarre, wacht er womöglich im Frühjahr nicht mehr auf, weil der Energievorrat zum Überleben zu gering war. Andererseits können gerade zu geringe Energiereserven zum Aufwachen aus dem Winterschlaf führen. Da zieht die Natur gewissermaßen die "Notbremse".


Die größten Schläfer

Unsere größten heimischen Winterschläfer sind unsere Bären - aber die halten genau genommen keinen Winterschlaf mit Starre und extremer Stoffwechselreduktion, sondern nur eine Winterruhe. Dass so mächtige Tiere monatelang ohne Nahrung auskommen können, faszinierte uns Menschen seit jeher: In früheren Zeiten glauben man zum Beispiel, winterschlafende Bären würden sich ernähren, indem sie Milch aus ihren Tatzen saugen. Tatsächlich erneuert sich während der Winterruhe die Haut an den Tatzen des Bären, die sich ablösenden Hautfetzen werden verspeist. Doch nicht nur die Ernährung der Tiere, die den Winter in mehr oder weniger tiefem Schlaf verbringen, gibt Rätsel auf, sondern auch deren Gegenteil. Warum kommt es nicht zur Selbstvergiftung des Organismus, wenn monatelang kein Harn abgesetzt werden kann? Man weiß, dass bei Bären der Harnstoff über die Blasenwand gewissermaßen recycelt werden und zum Aufbau von neuem Körpereiweiß verwendet werden kann.

Wie das funktioniert, ist wissenschaftlich aber nach wie vor ungeklärt. Dabei könnte die Lösung dieser Frage auch für die Humanmedizin wichtig sein, etwa um die Selbstvergiftung bei Nierenversagen zu verhindern. Menschen in Winterschlaf zu versetzen, das wünscht sich seit langer Zeit auch die Weltraumforschung, doch bisher ist das Science-Fiction. Versuche, den Winter zu verschlafen, gab es aber: In einigen Gegenden Russlands fand man sich gemeinsam in einer Stube ein, um die kältesten Wochen des Winters schlafend und dösend zu überdauern. Der Körperkontakt hielt warm, Brot und Wasser deckten den reduzierten Energiebedarf. Zwar kein echter Winterschlaf, aber ein Versuch!

(DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2001)