Wien - War es das kollektive schlechte Gewissen einer Stadt über die langjährige Vernachlässigung ihres großen Sohns? War es die im Informationsbombardement unserer Kommunikationsgesellschaft virulente Suche nach Authentizität, nach einer Vater- und Identifikationsfigur? Wer dienstags zu abendlicher Stunde das Wiener Jazzlokal Porgy & Bess aufsuchte, der wurde eines sympathischen wie paradoxen Phänomens gewahr. Ein alter Mann stand dort auf der Bühne und freute sich darüber wie ein kleiner Bub. Während ihn das brechend volle Etablissement, dessen junge Besucherschaft ihn vielfach nur vom Hörensagen kannte, feierte, als wäre er nach langer Zeit endlich heimgekehrt. Irgendwie ist dies Hans Koller auch, hatte der bald 81-Jährige doch anno 1993 seinen letzten Auftritt in repräsentativem Rahmen. Und doch: Kann man einen Saxophonisten und Komponisten, der seit 30 Jahren im Herzen der (Josef-)Stadt lebt, tatsächlich "wieder entdecken"? Fort aus Wien war Hans Koller an sich nur in den 50er-und 60er-Jahren: In Deutschland machte er u. a. mit seinen New Jazz Stars - mit dem jungen Albert Mangelsdorff - Furore. Wiederholt zum "Musiker des Jahres" gewählt, war Koller einer der ersten Europäer, der auch von den Amerikanern - namentlich Dizzy Gillespie, Benny Goodman etc. - als ihresgleichen akzeptiert wurde. Das von Ernest Bornemann geprägte Schlagwort "Jazz from Kollerland" (als Synonym für deutschen Jazz) war in diesen Jahren in vieler Munde. Obwohl - oder weil - sich Koller nach seiner Rückkehr nach Wien 1970 modernen, freieren Improvisationskonzepten zuwandte, genoss er in seiner Heimatstadt nie wirklich jene Aufmerksamkeit, die ihm in der Fremde zuteil geworden war. 1996 wurde ihm immerhin der seither nach ihm benannte österreichische Jazzpreis zuerkannt. Dieser Tage war vieles anders: Ein Gratulantenreigen vom legendären Pianisten Roland Kovac abwärts reiste eigens aus der Ferne an, um Koller-Kompositionen zu interpretieren. Dienstags stand er selbst auf der Bühne, mit seinem Saxophon-Ensemble und mit Pianist Paul Urbanek, dessen Bearbeitungen alter Aufnahmen des Saxophonisten soeben zur "CD des Jahres" gekürt wurden. Obwohl Kollers Lungenkräfte heute begrenzt sind und er mehr spielen ließ als spielte, obwohl die Bläsersätze die gewohnte Kompaktheit vermissen ließen, so wurde doch spürbar, dass dieser Mann seine beträchtlich jüngeren Kollegen noch immer zu inspiriertesten Soli anzutreiben imstande ist. Kein Zweifel, Österreichs Jazzlegende hat auch heute noch etwas zu geben. Wien kann sich glücklich schätzen, dies ausnahmsweise nicht zu spät erkannt zu haben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 11. 2001)