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London/Wien - "Dass ich einen der Schlüsselspieler der Zellteilung entdeckt habe, ist reinem Zufall zu verdanken", berichtet Timothy Hunt, Biochemiker am Imperial Cancer Research Fund, London, der für seine Entdeckung mit dem diesjährigen Medizinnobelpreis geehrt wird: "Am 23. Juli 1982 habe ich eher aus Langeweile und zum Spaß mit Seeigeleiern experimentiert und bemerkt, dass in ihrem Zellzyklus ein bestimmtes Protein immer wieder auf-und abgebaut wird." Hunt war ursprünglich überhaupt nicht an der Funktion des Proteins interessiert, er wollte herausfinden, wie die Zellen Proteine herstellen. Aber die "komplette Korrelation zwischen Zellteilung und dem Verschwinden des Proteins" brachte sein Forschen in neue Bahnen: "Ich habe dann in der Literatur gesucht, was man über die Kontrolle des Zellzyklus wusste, aber niemand hatte etwas Ähnliches wie ich beobachtet." Zellteilungskontrolle Als sich dasselbe Protein später auch in Fröschen und Menschen fand, war klar, dass es - wegen seines periodischen Auf-/Abtretens "Zyklin" genannt - zentral zur höchst komplexen Maschinerie gehört, mit der Zellen sicher stellen, dass bei ihrer Teilung die Erbinformation unversehrt auf die Töchter geht. Funktioniert das nicht, drohen Zelltod oder das Außer-Kontrolle-Geraten von Zellwachstum und -teilung: Tumoren. Deshalb würde die Pharmakologie die Entdeckung Hunts und seiner beiden Mitpreisträger - Leland Harwell und Paul Nurse haben in Hefe andere Schlüsselspieler des Zellzyklus identifiziert - gerne nutzen. Könnte man etwa die Produktion der Zykline blockieren ("inhibieren"), könnten sich Zellen erst gar nicht teilen. "Erste Inhibitoren sind in früher klinischer Erprobung", berichtet Hunt, "aber Paul Nurse meint, sie wären kaum weniger gefährlich als eine Atombombe: Sie würden die Teilung nicht nur von Tumorzellen verhindern, sondern die aller Zellen. Ich bin nicht ganz so pessimistisch: Vielleicht gelingt es ja, nur Tumorzellen zu inhibieren, und vielleicht - wichtiger - finden wir einen Weg, statt der Teilung das Wachstum von Tumorzellen zu stören." Auf Details wird Hunt auf dem "Zukunftssymposium" von ORF1 eingehen, das unter dem Titel "Life Sciences" Sachverstand nicht nur aus der Molekularbiologie eingeladen hat - etwa Jens Reich (Max-Delbrück-Centrum, Ber- lin), der über das Humangenom-Projekt referieren wird. Auch die "ethischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen" sollen in aller Breite debattiert werden. Der Stand der österreichischen Biowissenschaften ist ebenso Gegenstand von Vorträgen und Podiumsdiskussionen wie die Rolle der politischen Öffentlichkeit. Hunt spricht über "Medizin und Zukunft der Life Sciences" und wird sich für Forscherwege wie seinen eigenen stark machen: "Von den Grundlagen zur Anwendung braucht es zehn, zwanzig Jahre, das dauert der kapitalistischen Maschinerie zu lange. Aber wir brauchen die spielerische Neugier: Hätte man den Zellzyklus am Menschen studieren wollen, wüsste man heute noch nichts. Dazu hat es Leute gebraucht, die Seeigel oder Hefe lieben und gerne eines der kleinen Geheimnisse der Natur knacken." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.11.2001)