Innerhalb einer Nacht haben die US-Generäle das Tempo im Afghanistankrieg erhöht, 1500 Marines nach Kandahar geschickt und die Operation "Enduring Freedom" von "dauerhafte" auf "schnelle Freiheit" umgetauft. Die Wortwahl ist recht zweideutig: Wie dauerhaft mag die Freiheit sein, die Washington den Afghanen nun im Handstreich bescheren will? Oder geht es eher um einen Befreiungsschlag für die US-Armee selbst, die rasche Ergebnisse will und fürchtet, sich bei der Jagd auf Bin Laden in innerafghanische Stammeskämpfe zu verstricken, je mehr Zeit ins Land geht?

Als die jugoslawische Armee zu Beginn des Balkankriegs Dubrovnik belagerte, schreckte die Regierung von Bush senior vor einer Intervention zurück: Wer nur eine Zehe auf den Boden setzt, würde unweigerlich in einen Konflikt hineingezogen, lautete die Warnung. In Afghanistan hat die US-Armee mehr als nur eine Zehe auf dem Boden, doch die Umstände sind ganz andere - Amerika führt seinen eigenen Krieg. Mit der Bodenoffensive, die nun angerollt ist, ändern sich zwei Gegebenheiten dieses ungewöhnlichen Krieges: die Undurchsichtigkeit und das chaotische Bündnis zwischen den USA und der Nordallianz.

Die Militäroperationen gegen die Taliban und das Terrornetz al-Qa'ida, die Washington verdeckt und mehr oder minder erfolgreich führte, lassen sich mit der rasch wachsenden Zahl der US-Soldaten auf dem Boden kaum länger verbergen. Das Risiko für die Soldaten steigt und entsprechend auch der Zwang für die amerikanische Regierung, ihre militärische Strategie vor den eigenen Bürgern zu begründen. Die Landung der Marines stellt auch die "Arbeitsteilung" zwischen den US-Streitkräften und der Nordallianz auf die Probe. Geraten die Amerikaner in die Streitigkeiten der rivalisierenden Truppen der Nordallianz, müssen sie wohl oder übel schlichten. Die US-Armee würde vom Terroristenjäger zur Ordnungsmacht wider Willen. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 27.11.2001)