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Höchster Wert vieler Gesellschaften ist die Unantastbarkeit der Würde des Menschen - und damit das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als Grundlage unverletzlicher, unveräußerlicher Menschenrechte. Wie von Politik, Bioethik, Wissenschaft und Medizin gegen dieses Recht verstoßen wird, dokumentiert Sachbuchautor Richard Fuchs jetzt in seinem neuesten Buch Das Geschäft mit dem Tod. Ob Tötung von Menschen zum Zwecke der Organentnahme, Beihilfe zur Selbsttötung oder Vernichtung von Neugeborenen, Kranken, Alten und Sterbenden - stets wird von den jeweils Verantwortlichen mit wohlklingenden Worten beteuert, dass die Auslöschung menschlichen Seins einzig dem Wohl und Schutz des Menschen diene. So auch bei der aktiven Sterbehilfe, die seit April 2001 in den Niederlanden als weltweit einzigem Land gesetzlich geregelt ist und von Ärzten straffrei durchgeführt werden darf (vgl. den ALBUM-Titel vom 3. November). Doch selbst frühere Befürworter aktiver Sterbehilfe sprechen in den Niederlanden inzwischen von einer Verschleierung von Kapitalverbrechen. Welche ökonomischen Interessen bestehen aufseiten der Politik, Menschen unter Berufung auf "Mitgefühl" und Patientenautonomie aus dem Leben zu schaffen? Welche Beweggründe treiben Mediziner? Welche Ängste veranlassen ganz normale Menschen, die eigene Tötung zu wünschen? Mit Richard Fuchs sprach Bettina Recktor. In den westlichen Industrienationen werden die Menschen zunehmend älter, was in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Renten zu steigenden Kosten führt. Kritiker warnen inzwischen davor, dass aktive Sterbehilfe als Instrument zur Beseitigung Alter und Kranker eingesetzt werden könnte. Fuchs: Wenn die Kosten im Gesundheitswesen explodieren, wird gleichzeitig auch der Ruf nach Kostensenkung laut. Und diejenigen, die die schwächste Lobby haben, sind die Ersten, bei denen gespart wird. Es heißt, dass alte Menschen im letzten Drittel ihrer Lebensphase rund 330.000 Mark kosten, wovon der größte Teil auf die letzten zwei Jahre entfällt, denn die hohe Lebenserwartung wird als Kehrseite der Hochleistungsmedizin oft um den Preis einer Multimorbidität erkauft. Und ich denke, dass knappe Mittel sehr wohl zu Kürzungen bei der Versorgung alter Menschen führen können und damit Zustände geschaffen werden, die den Ruf nach aktiver Sterbehilfe lauter werden lassen. Vor Verabschiedung des Euthanasie-Gesetzes waren es in den Niederlanden so genannte "gerechtfertigte Ausnahmefälle", die Medizinern das Töten von Menschen erlaubten. In Ihrem Buch belegen Sie nun, dass Ärzte inzwischen auch ohne Einwilligung von Patienten töten und dass längst nicht mehr ausschließlich Schwerstkranke zu den Opfern gehören. Fuchs: Wie eine Untersuchung des niederländischen Justizministeriums ergab, wird die Zahl der Patienten, die von Ärzten getötet werden, ohne zuvor in ihre Tötung eingewilligt zu haben, auf etwa 1000 pro Jahr beziffert. Auch ist nach einer Studie der Erasmus-Universität in Rotterdam die als "human" geltende Euthanasie-Praxis äußerst brutal: Bei jedem Vierten, der getötet werden soll, kommt es zu Komplikationen. Immer wieder wachen Opfer aktiver Sterbehilfe aus dem Koma auf, mit schweren Schäden. Hinsichtlich des Opferkreises werden die Grenzen ebenfalls zunehmend verschoben: Ärzte wurden nach der Tötung von Neugeborenen mit Missbildungen freigesprochen, ebenso 1994 ein Arzt, der das Leben einer nach Selbstmord ihrer Söhne schwer depressiven Frau beendete. 1999 wurde über aktive Sterbehilfe bei einem Alzheimer-Patienten im Anfangsstadium berichtet, ebenso bei einem HIV-Infizierten ohne Aids-Symptome. Bei greisen oder dementen Patienten wurde ganz auf Einwilligung verzichtet. In den Niederlanden hat aber noch kein Arzt wegen der beschriebenen Tötungsdelikte im Gefängnis gesessen. Eine "Normalisierung" bei der Tötung von Menschen ist auch daran zu erkennen, dass an den medizinischen Fakultäten der Niederlande Euthanasie mittlerweile Bestandteil aller Lehrpläne für die Ausbildung zum praktischen Arzt ist. Einerseits sollen kranke Menschen durch Organtransplantationen oder gentechnische Verfahren "repariert" und so alt wie möglich werden. Andererseits gibt es aufseiten der Bioethik ein Interesse, Alte und Kranke zu beseitigen. Wie sind diese völlig entgegengesetzten Bestrebungen zu erklären? Fuchs: Im Gesundheitswesen hat dies schlicht und einfach mit Lobbyarbeit der einen oder anderen Seite zu tun, und mit den dahinter stehenden merkantilen Interessen. Deshalb werden Philosophen, die sich der Bioethik, d.h. einer Ethik der Interessen verschrieben haben, von Medizin und Gentechnik als Akzeptanzbeschaffer gebucht. Und wie Werbeagenturen dabei helfen, Konsumgüter und Dienstleistungen ihrer Kunden zu verkaufen, so werben diese Philosophen, ähnlich schlicht und durchschaubar, im Auftrag ihrer Geldgeber für neue Technologien. Dass z.B. hinter der Transplantationsmedizin Lobby-Interessen stehen, ist auch mit der Tatsache zu erklären, dass eine Nierentransplantation rund 100.000 Mark, eine Lebertransplantation 250.000 Mark kostet. Und für jede Organbeschaffung erhält die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) eine Rückvergütung von über 12.000 Mark - was den Verdacht nahe legt, dass in Deutschland das Transplantationsgesetz von vornherein als Organbeschaffungsgesetz angelegt wurde. Die Schieflage kommt also dadurch zustande, dass man einerseits versucht, das Leben von Menschen zu verlängern - im Übrigen mit einem Riesenkostenaufwand -, andererseits Kosten bei denjenigen sparen will, die im medizinisch-technischen Industriekomplex keinen besonderen Stellenwert und auch keine Lobby haben. Was für Auswirkungen hätte es auf unser Leben, wenn wir fürchten müssten, bei Krankheit, Behinderung, im Alter oder im Sterbeprozess Medizinern ausgeliefert zu sein? Fuchs: Mir persönlich macht diese Vorstellung Angst. Und es würde mir umso mehr Angst machen, wenn ich keine Angehörigen, Ehepartner, Kinder oder Enkelkinder hätte, allein stehend wäre und vielleicht auch noch mittellos. Und ich denke, dass viele alte Menschen in diesem Zusammenhang auch vorauseilende Gedanken haben, indem sie sagen, dass sie niemandem zur Last fallen wollen. Dass sie kein Leben möchten, wie man es im Extremfall in Pflegeheimen erleben kann, und die deswegen sehr dafür sind, dass man sie auf eine "humane" Weise mit einer Giftspritze ins Jenseits befördert. Ein ganz entscheidender Aspekt ist auch, dass nicht mehr zu Hause im Familienkreis gestorben wird, sondern anonym, hinter Krankenhaus-, Pflege- oder Altersheimmauern. Und bei solchen Lebensumständen fällt es möglicherweise ganz leicht zu sagen: "Also wenn Ihr das alles nicht wollt, gibt es eben noch die andere Lösung." Weil es in den Niederlanden so einfach ist, Menschen zu töten, hat sich dort z.B. keine Palliativmedizin entwickeln können (vgl. dazu allerdings die Aussagen des Onkologen Bernard Zonnenberg im oben genannten ALBUM-Beitrag; d.Red.). Menschen zu töten, ist eben einfacher und preiswerter. In Ihrem Buch berichten Sie, dass bereits überlegt wird, aus Kostengründen auch Wachkoma-Patienten sterben zu lassen. Welche offiziellen Rechtfertigungen werden hierfür genannt? Fuchs: Im Rahmen des EU-Forschungsprogramms BIOMED I fand 1995 in Bonn unter Leitung von Prof. Ludger Honnefelder die zweite europäische Wachkoma-Tagung statt, um europaweit - wie der Neurologe Andreas Zieger damals feststellte - über die "Perfektionierung des Tötens" nachzudenken. Um ein Meinungsbild einzuholen, hatten die Veranstalter im Vorfeld einen Fragebogen an 1200 neurologische und neurochirurgische Einrichtungen verschickt. Eine der Fragen war, nach wie viele Monaten man Wachkoma-Patienten die Nahrung entziehen solle. Auf der Tagung wurde dann darüber diskutiert, ob es nicht im "besten Interesse" des Patienten sei, lebenserhaltende Maßnahmen wie künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr abzubrechen und wie der Tod noch "sinnvoll" genutzt werden könne, etwa durch Organentnahme. Letzteres ist inzwischen in Deutschland vereinzelt makabere Realität geworden und auch dokumentiert. Die Motivation, eine solche Debatte zu führen, liegt auf der Hand. Es sind die hohen Betreuungs- und Pflegekosten vor dem Hintergrund, dass niemand voraussehen kann, ob und wann diese Patienten wieder aufwachen. Vernachlässigt wird bei solchen Überlegen aber völlig, dass das Aufwachen durch eine frühzeitige, regelmäßige emotionale Ansprache begünstigt werden kann. Emotionale Ansprache kann unerwartete Effekte auch bei so genannten "Hirntoten" auslösen. Um den "Hirntod" zu diagnostizieren, wird z.B. die elektrische Aktivität der Gehirnoberfläche durch eine EEG-Ableitung gemessen. Wenn ein Neurologe glaubt, seine Diagnose durch eine Nulllinie bestätigt zu finden, kommt es vor, dass sich die Linie wieder verändert, sobald ein Angehöriger sich dem Patienten nähert und ihn anspricht. Die Tatsache, dass natürlich auch komatöse Menschen Wahrnehmungen haben, nimmt die Medizin aber nicht gern wahr. Gibt es für Sie irgendeine Situation, die es rechtfertigt, das Leben eines Menschen durch aktive Sterbehilfe, also durch absichtsvolle Tötung zu beenden? Fuchs: Ich weiß von Medizinern, dass es einen kleinen Prozentsatz von Menschen gibt, die trotz Schmerzmittel einen leidvollen Tod haben werden. Ob es in diesem Fall gerechtfertigt ist, dass man sie tötet, kann ich nicht beantworten. Ich persönlich bin der Auffassung, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist und ich nicht das Recht habe, es zu beenden oder das Beenden anderen zu überlassen. Unterschreiben würde ich allerdings, dass mir durch Schmerzmittel geholfen wird, selbst um den Preis eines früheren Todes. Letzten Endes trägt jede Gabe von Opiaten dazu bei, das Leben zu verkürzen. In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich auch mit Nahtoderlebnissen. Berichte darüber bestätigen, dass die Angst vor dem Tod eigentlich unbegründet ist. Wie würde sich ein gelassenerer Umgang mit dem Tod auf Praktiken wie aktive Sterbehilfe oder Organtransplantation auswirken? Fuchs: Die Nahtoderlebnis-Forschung befasst sich nur mit Erlebnissen von Menschen im klinischen Tod, d.h. bei Herz-Kreislauf-Stillstand bis zu einem gewissen Zeitpunkt, vor einer Reanimation oder bevor solche Menschen ohne Reanimation von selbst wieder aufwachen und über Nahtoderlebnisse berichten. Folglich geben diese Berichte keine Auskunft über das Leben nach dem Tod, eröffnen allerdings Perspektiven, die in der Regel unbeschreiblich Schönes erwarten lassen. Die Berichte geben z.B. Auskunft darüber, wie wir das Sterben erfahren, wie wir in den ersten Minuten unseren klinischen Tod erleben. Und sie öffnen vielleicht auch den Blick durch das Fenster ins Jenseits. Obwohl Nahtod- und Außerkörper-Erfahrungen so alt sind wie die Menschheit und z.B. auch in der Bibel beschrieben werden, betrachten manche Theologen sie mit ängstlicher Distanz, weil ihr Meinungsmonopol zu Jenseitsfragen ins Wanken geraten könnte. Inzwischen wurden aber derart viele Berichte gesammelt und ausgewertet, dass eine übereinstimmende Erlebnisabfolge zusammengefasst werden konnte. Durch meine Auseinandersetzung mit Nahtoderlebnissen habe ich inzwischen ein verändertes Verhältnis zum Tod, und ich würde mich freuen, wenn mein Buch dazu beitrüge, dass auch andere Menschen ihre Furcht verlieren. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe, 24./25. 11. 2001)