Glaubt man den bundesdeutschen Erregungen, die den Parteitag der Grünen begleiteten, steht die Ökopartei vor einem raschen Ende. Todesursache: gebrochenes Rückgrat. Die vormals pazifistisch orientierte Partei habe sich der Erpressung durch den sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder gefügt, nach dem Kosovo-Einsatz rücken deutsche Landser nun sogar schon in Afghanistan ein, befürchten die Friedensbewegten von der Basis. Hehre Grundsätze würden auf dem Altar der Macht geopfert, deshalb seien die Grünen für Fundamentalmoralisten künftig unwählbar.

Konservativere Geister wiederum sahen die Regierungsfähigkeit der Grünen infrage gestellt, hätten diese dem Afghanistan-Mandat nicht zugestimmt. Man verlangt nach Geschlossenheit, nach dem Eingeständnis, dass eine pazifistische Grundeinstellung sich gegenüber der Herausforderung des internationalen Terrorismus als lebensfremd erweist. Wer Macht hat, muss sie auch ausüben wollen, und sei es militärisch. Die Grünen seien dazu nicht fähig, tönt es aus der konservativen Ecke.

Tatsächlich dürfen die Grünen aber auf sich stolz sein. In keiner anderen deutschen Partei wurde das Thema Afghanistan auf hohem Niveau und mit derartigem Anstand diskutiert, die Grünen waren das wahre Spiegelbild der deutschen Gesellschaft. Nicht die Genossen der SPD, die sich mit Hurra hinter Frontmann Schröder sammelten, nicht die Bürgerlichen von CDU/CSU, bei denen inhaltliche Diskussionen nicht mehr geführt werden, nicht die Freidemokraten, denen es scheinbar nur mehr um den Wiedereinzug in die Regierung geht - die Grünen zeigten, dass komplexe Fragen eben auch komplex in aller Öffentlichkeit besprochen werden müssen.

Was bitte kann an einer kontrovers geführten Debatte über ein weltpolitisches Thema schlecht sein? Es ist doch kein Zeichen für die Zipfelmützigkeit des deutschen Michel, wenn frei von ideologischem Ballast über mögliche Kriegseinsätze geredet wird. Es wäre doch vielmehr erschreckend, würden sich die Deutschen wieder ohne Wenn und Aber in Abenteuer stürzen.

Deutschland und damit Europa braucht diese Grünen, auch wenn vieles in der Partei in sich widersprüchlich erscheint. Aber ein sozial und ökologisch modernisiertes republikanisches Deutschland, das frei ist von romantischen Vorstellungen einer Kuschelgesellschaft, muss nach den Terroranschlägen vom 11. September seine internationale Rolle neu definieren - die Grünen zeigten, wie man das angeht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26. November 2001)