Wien - Ziel der europäischen Kommission ist es laut dem zuständigen Generaldirektor für öffentlichen Verkehr, Günther Hanreich, die Marktanteilsverluste des öffentlichen Verkehrs in den 90er Jahren in den kommenden zehn Jahren wieder zurückzugewinnen. Bis 2010 strebt die Kommission ein Volumen von EU-weit 961 Mrd. Personenkilometer im öffentlichen Verkehr an. Dies würde einem Markanteil von 16,2 Prozent und damit etwa dem Stand von 1990 entsprechen. Ohne entsprechende Maßnahmen würde der Marktanteil jedoch bis 2010 auf 13,8 Prozent sinken, prognostizierte Hanreich am Donnerstag in Wien. Die kritische Frage werde dabei sein, welchen Anteil der öffentliche Verkehr bis dahin im Kurzstreckenbereich erreichen werde. 60 Prozent aller Fahrten bewegten sich auf einer Strecke von 0 bis 40 Kilometern. Die Kommission habe daher im Rahmen der "Civitas-Initiative" rund 750 Mill. S (54,5 Mill. Euro) bereitgestellt, um europäische Städte, darunter auch Graz, bei der Reform ihres Nahverkehrs zu unterstützen. Kundenzahl steigt, wo Wettbewerb herrscht Wenn es darum gehe, Kundenbedürfnisse effizienter zu erkennen und zu befriedigen, spiele aber vor allem Wettbewerb eine wichtige Rolle. Dort wo bereits Wettbewerb herrsche - konkret in Kopenhagen, Helsinki, Stockholm, London und Lyon - sei die Passagierzahl im öffentlichen Verkehr durchschnittlich um 1,8 Prozent gestiegen, in London sogar um 13 Prozent. In Städten ohne Wettbewerb hingegen sei die Kundenzahl um 0,7 Prozent gesunken. Wien bildet allerdings eine Ausnahme: Trotz Monopol der Wiener Linien ist hier die Kundenzahl um 2,3 Prozent gestiegen. Hanreich: Öffentlicher Verkehrt soll für Politik "absolute Priorität" haben Was die Erfahrung in anderen Städten auch gezeigt habe: Wettbewerb könne nur funktionieren, wenn er scharf geregelt ist. Strenge Regeln führten zu sinkenden Kosten und steigenden Passagierzahlen. Schwache Regulierung hingegen ließe beide Faktoren sinken, warnt Hanreich. Aufgabe der Politik sei es darüber hinaus, dafür zu sorgen, dass der öffentliche Verkehr "absolute Priorität" habe. "Wenn Busse mit dem Pkw um Verkehrsraum kämpfen müssen, kann es keinen attraktiven öffentlichen Verkehr geben", meinte Hanreich. Außerdem müsse die Politik eine Zersiedlung in Randbereichen der Stadt vermeiden. Als Schlüsselfrage bezeichnete der Direktor aber die Preisgestaltung im öffentlichen und privaten Verkehr. Tagespolitik und populistische Entscheidungen zu Gunsten des Privatverkehrs - etwa die Senkung der Mineralölsteuer, um zwischenzeitlich hohe Ölpreise auszugleichen - hätten hier keinen Platz, meint Hanreich. Kommission beharrt auf Liberalisierung des öffentlichen Verkehrs Die europäische Kommission beharrt auf ihrer Forderung nach einer Öffnung des Öffentlichen Nahverkehrs für den Wettbewerb. Das EU-Parlament hat einen Verordnungsvorschlag der Kommission zur Einführung einer zwingenden Ausschreibungspflicht für den öffentlichen Verkehr am Mittwoch der Vorwoche zwar in einer ersten Lesung abgelehnt. Hareich betonte aber am Donnerstag, dass die Kommission weiterhin "Schwierigkeiten hat mit Vorschlägen, die den Wettbewerb vom lokalen öffentlichen Verkehr ausschließen". Ein solcher Ausschluss sei "rechtlich nicht möglich", meint Hanreich. Wenn eine Behörde durch eine direkte Vergabe den Markt abschotte, würde dies nach Ansicht des Direktors nämlich das Niederlassungsrecht verletzen. "Es kann nicht sein, dass wir einem Unternehmen die Niederlassung in einem EU-Land erlauben und es dann an der Ausübung seiner Tätigkeit hindern", so Hanreich am Donnerstag vor Journalisten in Wien. Insgesamt seien bei der Lesung im Parlament an die 500 Änderungsvorschläge eingebracht worden. Einige davon erachte auch die Kommission als sinnvoll, so zum Beispiel längere Vertragszeiten, eine achtjährige Übergangsphase bis zur vollständigen Marktöffnung oder den besseren Schutz für Konsumenten, Arbeitnehmer und Umwelt. Eine endgültige Haltung der Kommission gebe es aber noch nicht. Ob die Kommission nun einen modifizierten Vorschlag dem EU-Rat zur Diskussion vorlegen werde, sei noch offen. Die Diskussion über die Liberalisierung des öffentlichen Verkehrs gestalte sich auf jeden Fall derzeit im Rat "gleich schwierig" wie im Parlament. Auch dort gebe es keine qualifizierte Mehrheit für eine verpflichtende Öffnung des öffentlichen Verkehrs. Denkbar sei daher auch, dass die Kommission ihren Vorschlag zurückzieht und die Marktöffnung bereits anhängigen Gerichtsverfahren überläßt. Dann würde die Frage vom Europäischen Gerichtshof "in ihrer rechtlichen Bedeutung geregelt werden", sagte Hanreich. (APA)