Gut Ding braucht Weile. Das ist zwar eine Binsenweisheit, gilt aber im Bereich Mode auf jeden Fall für ein ganz bestimmtes Kleidungsstück, nämlich den Herrenanzug. Wenn sich ein Mann - meist mit fortgeschrittenem Alter und/oder erfreulichem Kontostand - dazu entschließt, einen Maßschneider aufzusuchen und sich den dort gängigen Ritualen zwecks Herstellung eines auf seine Figur perfekt abgestimmten Anzugs zu unterwerfen, dann weiß er, was auf ihn zukommt - und dass er sich dafür Zeit lassen muss. Von der Auftragserteilung bis zum Anzug-nach-Hause-Tragen dauert es zwischen vier und sechs Wochen, erzählt Bernhard Niedersüß, Junior beim Meister der alten Anzugsschule, dem Wiener Modeatelier Knize & Comp. Beim ersten Besuch sollte man sich für das Maßnehmen sowie die Wahl des Stoffes und Stils eine halbe Stunde in den Terminkalender eintragen, chronisch Entscheidungsschwache entsprechend mehr. Weiters sind insgesamt drei Proben (von jeweils rund zehn bis 20 Minuten) einzuplanen, bis das gute Stück fertig ist. Das mit dem Zeit lassen bzw. nehmen gilt natürlich nicht nur für den Kunden, sondern noch viel mehr für den oder die Ausführenden. 70 bis 75 Arbeitsstunden stecken in einem Dreiteiler von Knize, das Endprodukt kostet dann - ausgeführt in einem nicht zu teuren Stoff - etwa öS 65.000 (EURO 4723,7). Zwischen den Extremen Maßschneiderei und Konfektion haben sich eine ganze Reihe von Anbietern angesiedelt, die mit günstigeren Preisen als erstere und besserer Passform als letztere punkten wollen. Maßkonfektion nennt sich das System, das zum Beispiel die italienische Marke Kiton bei Braun & Co. am Wiener Graben praktiziert. Der Kunde kann einen Anzug, dessen Schnitt ihm gefällt, auch in jeder Menge anderer Stoffe haben, oder mit breiteren Schultern, oder mit einem um zwei Zentimeter längerem Sakko - wenn er dafür rund vier Wochen Wartezeit einplant. Das vom neapolitanischen Maßschneider Ciro Paone vor mehr als 30 Jahren gegründete Unternehmen führt 54 Arbeitsgänge aus, bis aus einem feinem Stoff ein mindest ebenso feiner Anzug wird. Nur drei dieser Arbeitsgänge werden maschinell ausgeführt, sogar der Zuschnitt erfolgt noch per Schere. Über 200 Maßschneider sind für das Unternehmen, das sich selbst als den exquisitesten und teuersten Herrenkonfektionär der Welt bezeichnet, in dem Städtchen Arzano nördlich von Neapel tätig. Sakkos sind ab etwa öS 22.000 (EURO 1598,8) zu haben. Eine veredelte Art von "industrieller Maßschneiderei" praktiziert Ermenegildo Zegna, der darüber hinaus als führender Erzeuger feiner Stoffe für die Herrenbekleidung gilt. "Su misura" bedeutet, dass sich der Kunde Stoff und Schnitt aussucht. An Hand von so genannten "Schlupfgrößen" wird Maß genommen, wobei Details wie Ärmel- oder Sakkolängen angepasst werden können. Das bestellte Stück wird in der Südschweiz gefertigt und kommt nach rund drei Wochen ins Geschäft, wo noch kleine Korrekturen vor Ort gemacht werden können. Bei Zegna, der auch in Wien ein eigenes Geschäft betreibt, werden Teile nicht geklebt und auch Kanten mit Hand genäht - alles Hinweise auf die Qualität der Verarbeitung. Die Daten und Wünsche der Kunden werden gespeichert, wenn in der Zwischenzeit keine eklatanten Veränderungen eingetreten sind, können weitere Stücke ohne weitere Formalitäten bestellt werden. Preise beginnen bei öS 16.000 (EURO 1162,8). Mit ziemlichen Dumpingpreisen (zwei Anzüge nach persönlichen Maßen plus zwei Maßhemden und zwei Seidenkrawatten um öS 13.990 / EURO 1016,7) ist das deutsche Unternehmen "Prince of Wales" in den österreichischen Markt eingestiegen. Es logiert diskret an der Adresse Kohlmarkt 4 in der Wiener Innenstadt. "Wir arbeiten nur auf der Basis von Terminvereinbarungen", erklärt Geschäftsführerin Karin Kostka. Eine Stunde sollte sich der Kunde für das Beratungsgespräch Zeit nehmen, in dem Details wie Modell, Stil, Stoff und Maße besprochen werden, nach rund vier Wochen soll der in Deutschland gefertigte Anzug in Wien einlangen. Die Wiener Kundschaft, so Kostka, sei durchaus zufrieden mit dem deutschen Prinz: "Wir haben auch viele junge Kunden, die viel Geld haben, aber nicht so viel Zeit für einen Schneider aufwenden wollen". Das Publikum sei im allgemeinen traditionsbewusst, es wisse, "dass man zum Schneider geht", bevorzuge aber die vereinfachte Version, den Express-Schneider. mw derStandard/rondo/23/11/01