"Es gibt eine Liste von ungefähr zehn Fragen, die jedes Mal auftauchen: Wie war es, mit Nirvana zu arbeiten? Wie mit Jimmy Page und Robert Plant? Den Pixies? Warum geht es immer um die dunkle Seite des Daseins? Und so weiter und so fort. Ich verstehe das ja. Manche Leute hören die Antworten zum ersten Mal, aber für mich ist das kein neuer Stoff. Aber bitte, wenn jemand wissen will, wie es damals mit Nirvana war, bin ich gerne bereit, alles zu erzählen." Steve Albini, der hier die Frage nach den tunlichst zu vermeidenden Fragen beantwortet, feilt sich im Backstage-Bereich des Schlachthofs Wels, wo er beim Music Unlimited-Festival mit seiner Band Shellac den Höhepunkt markierte, die Nägel. Der hagere Enddreißiger mit den ramponierten Stimmbändern gilt neben Henry Rollins als die herausragende Figur des US-Hardcore, seit er in den 80er-Jahren mit seinen Bands Big Black und Rapeman über die Welt kam: Schrille Gitarren, ein derber Bass, Drum-Computer und eine nachdrücklich zur Schau gestellte Misanthropie galten als sein Markenzeichen. Er nahm einige der wichtigsten Bands dieser Zeit auf, war und ist ein begehrter "Engineer" für Bands wie Jesus Lizard, Urge Overkill, The Wedding Present, Low, die eingangs erwähnten Nirvana, die Pixies und Dutzende mehr. Dem Begriff Produzent gewinnt er nichts ab. Ihn verbindet er elementar mit der Musikindustrie, und diese ist Albinis bevorzugtes Hassobjekt: "Ich bin ein Engineer. Producer sind Handlanger der Industrie, die der Aufnahme zu einer Platte eher hinderlich als förderlich sind, dafür aber die Hand aufhalten und ständig dreinreden. Ich nehme selten eine kritische Position zu den Bands ein, die an mich herantreten und Studiozeit buchen wollen. Die wenigsten kenne ich vorher. Skeptisch und selektiv bin ich nur, wenn ich merke, dass da ein großes Label dahinter steckt. Das bedeutet immer Probleme. Und Probleme hab ich schon genug." Albinis Haltung als freier Radikaler wird in ihrer Deutlichkeit von vielen als starker Negativismus gelesen. In diese Kerbe schlagend fragt er Gott auf seinem letzten Album 1000 Hurts , ob dieser für ihn nicht ein paar Leute erledigen könnte. Ein im Moment auf der Welt weit verbreitetes Anliegen. Befindet sich Albini da nicht in genau der Gesellschaft, die er ablehnt? "Es ist ein Fehler, die Ideen eines Songs mit der Person in Verbindung zu bringt, die ihn singt. Ein Song ist wie ein Film oder ein Buch. Niemand würde Stephen King einen Satanisten oder Mörder nennen, nur weil er darüber schreibt. Bands sollte man mit der selben Einstellung begegnen. Prinzipiell fühle ich mich in Amerika immer in schlechter Gesellschaft. Aber es gibt einen Kreis von Leuten, den ich schätze - und eben den Rest. Der 11. September machte das nur noch deutlicher." Das Gefühl, mit dem großen Rest der Welt wenig gemeinsam zu haben, taucht früh in Albinis Arbeit auf. In Kerosene , einem Schlüsselwerk von Big Black, verbrennt sich jemand aus Langeweile und Abscheu vor der Stadt, in der er lebt. Albini: "Ich bin in Missoula, Montana, aufgewachsen, bevor ich nach Chicago ging, um Journalismus zu studieren. Es gibt gute und schlechte Seiten an einer Kleinstadt. Das Verwurzeltsein in einer Gemeinschaft verspricht Sicherheit. Aber junge Menschen, die mehr wollen, stoßen schnell an Grenzen. Kerosene entstand, als ich aufwuchs, aus einer sehr subjektiven Wahrnehmung heraus." Eine starke Abneigung gegen den American Way of Life zieht sich durch Albinis Gesamtwerk. Ist Hass eine Arbeitsgrundlage? "Das fragt man mich oft, also muss etwas dran sein. Wenn das als Message so ankommt - ich akzeptiere das. Aber jeder Song steht nur für sich. Wir verfolgen keinen größeren Plan. Beim neuen Album registrierten wir, dass darauf mehr zornige Songs als sonst auftauchen. Wir versuchten, das nicht künstlich zu vermeiden. Aber ich kann nicht sagen, dass mir Hass wichtiger ist als andere Gefühle. Ein Song sollte etwas emotionell Unverfälschtes zum Ausdruck bringen und Abstraktes vermeiden. Unsere Texte entsprechen dem Destillat einer Idee. Ein Wort oder ein Satz genügen da, um zu sagen, was wir denken. Dass das andere Leute nicht oder falsch verstehen, nehmen wir in Kauf." Als Big Black mit zwei Gitarren, Bass und Drum-Computer in den 80ern angetreten sind, war das avantgardistisch. Dagegen nimmt sich die Besetzung von Shellac, Bass, Gitarre Drums, vermeintlich konservativ aus. Sind Shellac ZZ Top ohne Bärte? Albini: "Mir erscheint es im Gegenteil als radikales Statement, sich nicht in die heute vorherrschende, imitierende und sich ewig wiederholende Kultur einzureihen, die von Mode, Politik und Technologie als modern verkauft wird. Wichtiger ist, im Kopf nicht konservativ zu sein und nicht zu tun, was alle machen. Zu sagen, wir sollten Scratches oder Drum-Loops oder vergleichbaren popkulturellen Abfall verwenden, empfinde ich schlimmer als konservativ. Wer Angst vor seiner eigenen Stimme hat, greift heute zu Fremdmaterial. Das ist feig und wird spätestens in zehn Jahren so lächerlich klingen, wie manche Sachen aus den 80ern heute: It's going to be a fucking joke!" Viele Weggefährten von Albini sind verschwunden oder zu Mainstream-Langweilern geworden. Ist Steve Albini der letzte Überlebende einer Ära? "Ich habe immer noch Respekt für Leute, die mir wichtig waren, als ich anfing, in Bands zu spielen. Auch wenn ich ihre Arbeit heute langweilig finde, sind sie mir menschlich nicht egal. Sonic Youth sind so ein Fall: Was sie im Lauf der letzten zehn Jahre gemacht haben, hat mich kaum je berührt. Aber bei dieser Band geht es längst nicht mehr darum, einen guten Song zu schaffen und ihn zu den anderen zu stellen. Dass Sonic Youth als Band so lange Zeit bestehen, bedeutet, längst andere Ziele zu haben, als nur ein weiteres Album zu veröffentlichen und damit zu touren. Es ist ein Gesamtkunstwerk. Und sie gehören zu den Bands, die mich inspiriert haben. So wie Killdozer, Slint oder die Swans. Das waren Bands, die noch immer mit nichts zu vergleichen sind. Das ist auch eine der Hauptabsichten von Shellac: Musik zu schaffen, die originär und einflussfrei ist. Darum betreiben wir, Todd Trainer, Bob Weston und ich, Shellac hobbymäßig. Wenn du in einer Band spielst, ist es dasselbe, wie wenn du malst, Ski fährst oder Puppenhäuser baust. Man tut es, weil man es gerne macht. Es befriedigt einen kreativen Impuls. Wenn du verlangst, dass die Welt dich dafür bezahlt - fein, aber das wollte ich nie. Das macht es zu einem Job. Ich hatte genug Jobs in meinem Leben, und ich will nicht, dass Musik mein Job wird. Und je mehr Sachen ich höre, desto größer wird meine Überzeugung, dass nur sehr wenige Bands Musik überhaupt als Job betreiben sollten." derStandard/rondo/23/11/01