Leobersdorf/Rom/Wien - Marchfeld bei Leopoldsdorf, Mitte November: winterliche Felder bis zum Horizont. Erbsen, Mais und Karotten sind längst im Tiefkühlregal, um uns bis zum Frühjahr mit Vitaminen zu versorgen. Irgendwo dazwischen steht ein Mann und sticht den Spaten in die Erde. Was er ausgräbt, sieht aus wie das wulstige Männchen einer Reifenfirma - mit grünem Haarschopf. Der Botaniker Peter Lassnig strahlt: "Das ist unser erster Knollenziest. Den können wir den ganzen Winter ernten." Knollenziest klingt nach Unkraut wie Klette oder Haferwurz. Für Lassnig ist es die Frucht seiner Forschung am Biobauernhof Adamah. Solche Wurzelgemüse sind aus der Mode gekommen, liefern jedoch in der kalten Jahreszeit große Mengen Vitamine in schmackhafter, frischer Form. Grund genug für Lassnig, diesen Gemüsen durch Selektion und Weiterzüchtung neue Marktchancen zu erarbeiten. Zwar sind unsere Supermärkte das ganze Jahr prallvoll mit Obst und Gemüse aus aller Welt. Doch die bunte Vielfalt täuscht: Tatsächlich bekommen wir immer mehr vom immer Gleichen. Viele "alte" Sorten sind in Vergessenheit geraten, weil sie nicht genügend Erträge lieferten oder nicht rationell genug bearbeitet werden konnten. Auch Forschung und Entwicklung haben sich auf wenige Landwirtschaftsprodukte konzentriert und den großen Rest links liegen gelassen. Das soll sich jetzt ändern. "In den vergangenen Jahrzehnten haben wir die Umwelt sehr negativ beeinflusst", erinnert Jan Engels vom International Plant Genetic Resources Institute in Rom an die Fakten. "Umweltverschmutzung, Klimaveränderung und Verstädterung zwingen uns, neue, besser angepasste genetische Typen zu finden, die uns ohne Chemikalien produzieren und neue Nahrungsmittel finden lassen." Das Potenzial dafür wäre vorhanden. Um die wachsende Weltbevölkerung in Zukunft mit Nahrungsmitteln versorgen zu können, sollten wir auf jene Pflanzen zurückgreifen, die vielleicht unsere Urgroßeltern noch gekannt haben. Die Erklärung dafür liefert Engels' Kollege Pablo Eyzaguirre: "Die weniger hoch kultivierten Pflanzen enthalten mehr Vitamine und Eiweiß und kommen mit weniger Wasser, Dünger und Spritzmitteln aus. Unsere Technologien sind heute viel besser als zur Zeit der ,grünen Revolution'. Damit können wir die Produktivität dieser alten Sorten erhöhen, ohne dieselben Fehler zu machen wie vor 40, 50 Jahren." Einkorn und Emmer sind gute Beispiele. Diese uralten Getreidesorten waren die Grundlage für moderne Weizenzüchtungen. Weil sie weniger Ertrag bringen, wurden sie lange Zeit nicht mehr angebaut. Jetzt bekommen sie neue Bedeutung, weil sie für Menschen mit Weizenunverträglichkeit geeignet sind. Sie enthalten außerdem etwa 40 Prozent mehr Eiweiß und einen hohen Anteil an Mineralstoffen, wertvolle Aminosäuren und Lipide; sie liefern damit mehr Energie als reine Kohlenhydrate. Das "Power-Food" der Zukunft wächst vielleicht längst im Garten unserer Großmütter. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 11. 2001)