Wenn ich den vielen gescheiten Leuten glauben darf, die sich jetzt vernehmen lassen, so ist die Welt, hat man den tückischen Herrn Bin Laden erst einmal (wahrscheinlich besser tot als lebendig) erwischt, endlich wieder in Ordnung. Fragt sich nur, welche Welt die erwähnten Herrschaften nun eigentlich meinen, die da in Ordnung kommen soll.

Immerhin ist unsere leidgeprüfte und gegenwärtig wieder durch feinste Bomben malträtierte Mutter Erde, wenn auch nur ein Sandkorn im Kosmos, für unsereinen doch eine etwas schwer durchschaubare sehr alte Dame. Wie mit dem Netzauge eines Insekts nehmen wir ja nur unsere unmittelbare Umgebung wahr und sind im Großen und Ganzen gar nicht so unzufrieden, dass wir vor lauter netten Bäumen den großen Wald nicht sehen.

Durch Zufall ist mir in den letzten Tagen ein Papier in die Hände gefallen, das diesen Wald, den wir Welt nennen, so einprägsam darstellt, dass man ihn nach dessen Betrachtung eigentlich gar nicht gesehen haben möchte. Sollte es Ihnen ebenso gehen, mag Ihnen der Hinweis dienen, dass dieses Papier anonym ist. Anonymen Papieren schenkt ein anständiger Mensch im allgemeinen keinen Glauben.

Sie gestatten, dass ich diesbezüglich eine Ausnahme mache. Erstens habe ich - vielleicht zum Leidwesen eines Kärntner Landeshauptmannes - nie behauptet, ein anständiger Mensch zu sein. Zweitens sehe ich angesichts der vielen mit vollem (und mitunter bestens klingendem) Namen gezeichneten Halbwahrheiten und Lügen, denen ich schon aufgesessen bin, überhaupt keinen Grund, eine Mitteilung, nur weil sie anonym ist, zu ignorieren.

Sie dürfte von einem Statistiker stammen, der es in berechtigter Sorge um sein Fortkommen vorzog, sie unsigniert zu publizieren. Gemäß dem Sprichwort "Die Welt ist ein Dorf" projizierte er nämlich die Weltbevölkerung in ihren diversen Proportionen auf eine genau hundert Personen zählende Gemeinde.

Im Unterschied zu unserem Globus kann man sich so ein Fleckchen immerhin leicht vorstellen. Jetzt raten Sie, wie dieses in Rede stehende Dörfchen aussieht! Nicht sonderlich idyllisch, darf ich Ihnen verraten. Denn 80 Bewohner würden in baufälligen Unterkünften wohnen.

Und als Journalist wäre man in diesem Kaff überhaupt ziemlich arm dran, denn 70 von dessen 100 Bewohnern wären Analphabeten. Da hätte es mancher im Erzählen von Märchen geübte Politiker schon besser. Als Zuhörer hätte er jedenfalls 57 Asiaten, 21 Europäer und 14 Personen, die aus Nord-und Südamerika stammen, sowie acht Afrikaner.

Für einen ambitionierten Finanzminister wie den unsrigen wäre diese Gemeinde kein ergiebiger Boden. Denn 50 ihrer Bewohner lebten weit unter der Armutsgrenze und wären unterernährt. Da müsste er sich schon an jene sechs Amerikaner halten, in deren Händen 59 Prozent des gesamten Vermögens läge, das in diesem Dörfchen Welt insgesamt aufzuspüren ist. Wahrscheinlich befände sich unter diesen sechs wohlhabenden Leuten auch der glückliche Besitzer des einzigen Computers. Womit jedoch nicht gesagt sein muss, dass sich innerhalb dieser elitären sechs auch der oder die einzige mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium befindet.

Über die Anzahl der "schlafenden Terroristen", die sich unter den 52 Damen und 48 Herren befinden, gibt die Statistik leider keine Auskunft.

Ach ja, damit wir's nicht vergessen: Hat man Herrn Bin Laden endlich erwischt, dann sind die 50 Hungernden satt, können die 70 Analphabeten lesen. Und alle Häuser dieses Global Village präsentieren sich proper und im reichen Blumenschmuck. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.11.2001)