Kabul/London - Terroristenchef Osama Bin Laden steht nicht mehr unter dem Schutz der Taliban - dies behauptete zumindest am Mittwoch ein Taliban-Sprecher in Spin Boldak nahe der pakistanischen Grenze. Alle Kontakte zu dem saudi-arabischen Terroristenführer seien abgebrochen, so der Sprecher des Taliban-Chefs Mullah Mohammad Omar vor Journalisten.

"Es gibt im Moment keinen Kontakt zu ihm, wir haben keine Verbindung zu ihm", sagte der Sprecher. Die Taliban wüssten auch nicht, wo sich Bin Laden aufhalte: "Wir haben keine Ahnung, wo er ist, weil unser Gebiet sich jetzt auf drei oder vier Provinzen beschränkt." Die Journalisten hatten danach gefragt, ob der Extremist noch immer das Gastrecht der Taliban genieße.

Bin Laden selbst soll nach Informationen der saudi-arabischen Zeitung Al Watan seinen Vertrauten befohlen haben, ihn nicht lebend in die Hände seiner amerikanischen Häscher fallen zu lassen. Die USA haben am Mittwoch zusätzliche Soldaten für die Suche nach Bin Laden nach Zentralasien geschickt und auch den Einsatz regulärer Bodentruppen in Afghanistan nicht ausgeschlossen. US-General Tommy Franks sagte in Usbekistan, die US-Streitkräfte hielten sich alle Optionen offen. Bisher durchkämmen US-Sondereinheiten den Süden Afghanistans nach Bin Laden.

Der Fall der letzten Taliban-Hochburg im Norden, Kundus, könnte nach Einschätzung der Nordallianz unmittelbar bevorstehen. Sie stellte am Mittwoch ein Kapitulations-Ultimatum bis zum heutigen Donnerstag, wie ein Militärchef der Nordallianz mitteilte. In die Verhandlungen seien die nicht afghanischen Kämpfer von Bin Ladens al-Qa'ida nicht einbezogen - für deren Sicherheit gebe es keine Garantien, hieß es. In London hat der britische Außenminister Jack Straw unterdessen behauptet, das Al-Qa'ida-Netzwerk Bin Ladens sei "weitgehend zerstört".

Hilfe mit Hindernissen

Die von den Kräften der Nordallianz getragene Regierung Afghanistans in Kabul hat Frauen erlaubt, wieder außerhalb des Hauses zu arbeiten. Das entsprechende Verbot des Taliban-Regimes sei außer Kraft gesetzt, sagte Außenminister Abdullah Abdullah dem UNO-Beauftragten für Afghanistan-Hilfe, Mike Sackett. Die Aufhebung des Verbots erleichtert insbesondere den Hilfsorganisationen die Verteilung ihrer Güter.

Die britische Entwicklungs- hilfeministerin Clare Short warf am Mittwoch allerdings den USA vor, die Hilfsanstrengungen für Afghanistan nicht ernst zu nehmen. Die US-Regierung scheine nicht die vorherrschende Ansicht zu teilen, dass die große Armut in vielen Teilen der Welt bekämpft werden müsse, um neuen Terroranschlägen vorzubeugen, klagte die Labour-Politikerin in London. Die Hilfen für Afghanistan würden durch "Kommunikationsprobleme" beim US-Militär behindert. (AP, Reuters, AFP/DER STANDARD, Print- Ausgabe, 23. 11. 2001)