Das Unglück ist, dass Hans "Cato" Dichand in letzter Zeit immer öfter seinen Hund streichelt. Das tut er anstelle der Ausübung von Macht, wie er selbst gern versichert, aber die meisten Politiker Österreichs wissen das noch immer nicht und halten brutale Krone-Totschlagzeilen immer noch für brutale Machtausübung. Davor aber haben sie ungleich mehr Angst als vor einem Dutzend Störfällen im Kernkraftwerk Temelín. Die Folgen sind bekannt. Da aber das Leben ungeachtet all dessen weitergeht und eine Problemregelung immer noch besser auf überparteilicher Ebene zustande kommen sollte (Europas und der österreichisch-tschechischen Beziehungen, nicht der Regierung wegen), wäre es gut, wenn sich die Kontrahenten wenigstens auf ein gewisses Auseinanderklauben der Argumente einigen könnten. Europäisch denken, ... 1. Österreich kann Tschechien nicht zu einer Preisgabe der Atomstromerzeugung zwingen, denn das Recht, "dass die Mitgliedstaaten die Entscheidung über die Erzeugung von Kernenergie entsprechend ihren eigenen politischen Ausrichtungen treffen", hat Österreich selbst 1994 ins EU-Recht hineinverhandelt. Also muss man auf den guten Willen Tschechiens und die Kompromissbereitschaft aller Verhandlungspartner bauen: Das müssten endlich auch die Freiheitlichen anerkennen und Konsequenzen daraus ziehen. 2. Ein Kompromiss kann nach dem aktuellen Stand der Dinge nur in einem Höchstmaß an sinnvollen Sicherheitsauflagen bestehen, und darüber muss geduldig und bis zuletzt hart verhandelt werden. Unbestritten sollte aber sein, dass Temelín nicht das unsicherste aller Kernkraftwerke in Mitteleuropa ist und Störfälle im Anlaufbetrieb üblich und nicht beweiskräftig für letztklassige Technik sind: Solches immer wieder zu behaupten vergiftet das Verhandlungsklima, weil es unglaubwürdig macht. Da müssen sich alle an der Nase nehmen - auch einige ÖVP-Landeshauptleute, denen der politische Mut des ÖVP-Umweltministers fehlt. 3. Das Argumentieren mit der Grenznähe von Temelín ist unseriös. Vom Unfallszenario Tschernobyl wissen wir, dass radioaktiv verseuchte Wolken je nach Windlage durch ganz Europa getrieben wurden und die Schwammerln im Waldviertel mehr als in der Ukraine vergiftet haben könnten - so las man's zumindest oft genug auch in der Krone. Daher geht Temelín nicht nur die angrenzenden Bundesländer Österreichs, sondern so wie das Generalthema Kernkraftwerke ganz Europa an. 4. Eine Kernkraft-Ausstiegsstrategie ist daher gesamteuropäisch zu vereinbaren. Der ständige FPÖ-Hinweis, dass "nur noch drei EU-Länder" bei der Kernenergie bleiben wollen und Österreich daher die Ausstiegswilligen anführen sollte, ist haarsträubend unseriös, wenn man nicht dazusagt, dass zu diesen drei Frankreich und Großbritannien gehören, die sich sicher nicht durch Österreich von ihrer Politik abbringen lassen werden. (Chirac im atomaren Büßerleinen auf dem Ballhausplatz?) ... besonnen handeln Eine gesamteuropäische Ausstiegsstrategie kann nur unter Führung Deutschlands versucht werden und kommt nie zustande, wenn sich Österreich als EU-Berserker gebärdet. 5. Der Luftterror des 11. September hat alle Kernkraftwerke zu Risikoquellen ersten Ranges gemacht: Mit dieser Behauptung hat selbstverständlich auch die Krone Recht. Aber die Nichtinbetriebnahme von Temelín würde die Gefahr um nichts verringern. Solange es auch nur ein einziges Kernkraftwerk in Europa gibt, ist das Risiko da. Eine sofortige Stilllegung aller europäischen Attentatsziele ist illusorisch. Also bleibt auch in dieser Sicht nur: Maximierung möglicher Sicherheitsvorkehrungen durch Verhandlungen, die durch Drohgebärden nur erschwert und nicht erleichtert werden. 6. Durch ein Veto gegen die Aufnahme Tschechiens in die EU würde - nebst aller internationalen Verstimmung - nur erreicht, das Tschechien Temelín auf jeden Fall und ohne Rücksicht auf Österreich in Betrieb nimmt. Diesem logischen Argument hält die FPÖ entgegen, dass Prag im letzten Moment, weil es unbedingt in die EU kommen möchte, dem Veto durch einen Verzicht auf Temelín ausweichen würde. Dieses Gegenargument ist unbrauchbar, wenn die drei übrigen Parteien klar machen, dass es kein Veto geben wird, und wenn die ÖVP keinen Zweifel aufkommen lässt, dass daran notfalls auch die Koalition scheitern müsste. Das liebt die FPÖ nicht mehr als Temelín. 7. Die logische Konsequenz wäre, dass alle Parteien dem Aufruf von Minister Molterer folgen und sich zu einem Kompromiss entschließen müssten, der realistisch und herzeigbar ist. Ein solcher wäre auch die sicherste Gewähr dafür, dass dann auch die Krone nicht weiter Rumpelstilzchen spielen wird. Eine Vier-Parteien-Einigung versteht auch Dichands Hund. (DER STANDARD, Print, 21.11.2001)