In der Person von Jürgen Flimm steht dem Salzburger Festspielleiter Peter Ruzicka ein gestandener Theaterpraktiker zur Seite: Im Gespräch mit Ronald Pohl erläutert der langjährige "Thalia"-Direktor die Umrisse künftiger Schauspielprogramme. Rückschritte gegenüber der Ära Mortier erwartet er nicht. Salzburg - Als Chef des Deutschen Bühnenvereins lenkt er nun auch die Geschicke des Salzburger Festspiel-Theaters: Jürgen Flimm (60) hat den Gedanken an eine posthume Thomas-Bernhard-Uraufführung der Tom-Wolfe-Bearbeitung Herrenhaus noch nicht aufgegeben, zeigt sich aber betont skeptisch. Ansonsten macht er sich an das behutsame Anzapfen externer Geldquellen - und hofft auf die Entdeckung möglicher neuer Uraufführungsautoren. STANDARD: Sie etablieren einen neuen Theaterpreis, indem Sie dem Salzburger Festspielpublikum alljährlich eine Reihe von Jungregisseuren im Stadtkino vorstellen: Darunter finden sich bekannte Namen wie Falk Richter, aber auch Künstler aus Litauen oder Frankreich. Wer von denen bekommt nun aller einen Preis? Flimm: Nein, es wird eine kleine Jury geben, mit wahrscheinlich drei Leuten. Die werden sich am Ende einer solchen Reihe zusammensetzen und sagen: Das war die schönste Darbietung. Dazu kommt, dass Montblanc einen Preis gestiftet hat mit 10.000 Euro (137.603 Schilling) und das ganze Projekt ausrichtet. Wir hoffen sogar, dass wir bis Sommer die Anzahl der Aufführungen noch erweitern können. Dazu kommt, dass wir mit der EU über eine Unterstützung verhandeln. Die Gespräche sind schon sehr weit gediehen: Möglicherweise läuft das ab 2003. Wir waren heuer zu "früh" dran. STANDARD: In welcher Dimension bewegt sich denn eine solche EU-Unterstützung? Flimm: Wir können dann bis zu sechs Aufführungen machen: Wenn die EU uns Mittel einräumt. Wir haben jetzt einen Nukleus, den wir erweitern wollen. So etwas schafft man ja nicht auf einen Schlag. Wir haben aktuell elf Produktionen im Programm, und die betreuen meine Referentin Ulli Stepan und ich im Alleingang. Das Projekt ist auf drei Jahre hin angelegt. Natürlich produziert man in Lettland anders als hierzulande. STANDARD: Früher war die so genannte "Autonomie" des Schauspieletats ein beliebter Salzburger Zankapfel. Spielen solche Beweggründe, "neidvoll" auf das Musiktheater zu blicken, heute noch eine Rolle? Flimm: Sie haben gemerkt, dass es innerhalb des Direktoriums keine Animositäten gibt: Wir kommen sehr gut miteinander aus, führen offene Diskussionen - das ist alles. STANDARD: Sie wollen nicht eine Budgetzahl nennen? Flimm: Nein, wir besprechen die Projekte und überlegen: Wo nehmen wir dieses Geld her, jenes Geld her? STANDARD: Ihr Vorgänger Frank Baumbauer hat nicht ohne Enttäuschung darauf hingewiesen, dass viele seiner Lieblingsprojekte vom Publikum nur ungenügend angenommen wurden. Grund zur Sorge? Flimm: Da führt nur Beharrlichkeit zum Ziel: Sie müssen dazu stehen. Hand aufs Herz: Es weiß doch vorab keiner, wie etwas verkauft wird! Das lehrt mich die Erfahrung von 21 Direktorenjahren. STANDARD: Sie kündigen eine Peter-Turrini-Uraufführung an und verbuchen das unter "literarischem Theater", wie auch Andrea Breths Schnitzler-Inszenierung. Was verstehen Sie darunter? Flimm: Das ist redundant, was ich da gesagt habe! STANDARD: Wie das grässliche Wort "Regietheater". Flimm: Grässlich, genau. Uraufführungen wollen wir natürlich weiterhin vergeben - unbedingt. Aber Sie können die Autoren nicht dazu zwingen, das ist ja nicht wie beim Einsteigen in eine Straßenbahn. Natürlich werden viele Stücke geschrieben, es gibt auch sehr viele gute, junge Autoren: Moritz Rinke oder Roland Schimmelpfennig. Man muss hierhin, dorthin gucken ... STANDARD: Dem Akustikproblem in der Felsenreitschule wollen Sie sich stellen? Flimm: Das kommt: 2004, 2005. Da hab' ich kein Bauchweh. Man muss offensiv an die Sache herangehen. Nur darf man keine Guckkastenbühne hineinbauen wollen, das wäre blödsinnig. STANDARD: Mit der Burg oder dem Berliner Ensemble schmieden Sie Achsen? Flimm: Es muss nicht zwanghaft mit der Burg koproduziert werden, oder mit dem BE. Das sind ganz einfach befreundete Häuser! STANDARD: Sie waren mit einer Gruppe von Intellektuellen beim deutschen Bundeskanzler zum Diskutieren, naheliegenderweise über den Kriegseinsatz, eingeladen. Ihre Erfahrungen? Flimm: Wir hatten ihn ja um das Gespräch gebeten. Er kam dem nach und lud diese 24 Personen ins Kanzleramt ein. Es war ein sehr emotionales Gespräch, vier Stunden lang. Es gab erhebliche Auseinandersetzungen, und ich guckte herum - ich saß neben dem Kanzler - und dachte mir: Welcher Regierungschef von der Welt würde das machen? Und der Schröder hat einen wahnsinnig großen Vorteil: Er kann einfach gut zuhören! Er warb um Verständnis für seine Position - der Schily war übrigens auch dabei -, und ich fand es enorm, dass er sich dieser Kritik aussetzte. Da waren ja Grass, Sloterdijk, Walser dabei, solche Kaliber. Was dabei herauskommt, weiß man natürlich nicht. Das ist ja nicht wie bei der Mathematikstunde: Nachher weiß man, wie die Differenzialrechnung geht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 11. 2001)