Musik
"Gebt endlich auf, es ist vorbei!"
Blumfeld - eine Band zwischen Verweigerungshaltung und Schlagerkitsch spielten im WUK
Eine Band aus Hamburg im Spannungsbogen
zwischen Verweigerungshaltung und
Schlagerkitsch: Jochen Distelmeyer und
Blumfeld rissen bei ihrem großartigen Konzert
im ausverkauften Wiener WUK alte Gräben auf.
Zwischen "Ich" und "Ihr" und "Uns" und "Denen"
muss es nicht nur Unterschiede geben. Es
müssen auch Konsequenzen folgen.von Christian Schachinger
Wien - Eigentlich ist alles ganz
einfach. Da grübelt man jahrelang herum, warum man
sich in seinen fremdbestimmten Verhältnissen so unwohl
fühlt - und versucht sich in
einer ersten Reaktion "dem
System" zu entziehen. Distinktion, es lebe der feine Unterschied! Gemeinhin lügt
man sich hier in die Tasche.
"Das System" erweist sich
in der wirtschaftlichen Verwertung von kleineren und
größeren Subkultur-Revolten
aber als durchaus aufgeschlossen gegenüber ihm gezeigten Widerständen. Von
Punk bis Techno: Solange es
Geld bringt, lässt man auch
politische Erzfeinde wie Che
Guevara auf die T-Shirts der
Jugend dieser Welt drucken.
Nachfrage schafft Angebot.
Wer die Angebotspalette der
Freizeitindustrie schließlich
durchkonsumiert hat und sozusagen erwachsen wird und
sich in die Verhältnisse endlich wieder ganz einfügt, kann
sich dann immer noch mit alten Platten trösten. Oder, wie
schon Heinrich Heine reimte:
"Der Knecht singt gern ein
Freiheitslied des Abends in
der Schänke, das stärket die
Verdauungskraft und würzet
die Getränke." So schaut es
doch aus!
Wie gesagt: Dabei könnte
alles doch ganz einfach sein.
Man könnte zum Beispiel sein
"NEIN!" erst einmal in die
Welt hinausschreien - um
dann zu schauen, was man
politisch nachschieben kann.
Jochen Distelmeyer versucht
zum Beispiel mit seiner Hamburger Band Blumfeld gerade,
in der Popkultur zwei lange
vergessene Kategorien wieder
neu zu installieren und zu rehabilitieren: die Verweigerungshaltung und den Hass.
Sich verweigern
Verweigerungshaltung
kippt natürlich leicht ins Kitschige. Schon ein Bob Dylan
kann davon zwei, drei Lieder
singen. Und auch dem Hass,
gemindert durch seine Festschreibung und Institutionalisierung in vierminütigen
Songs, wird durch kreative
Bearbeitung oft seine Wucht
und Schärfe genommen.
Blumfeld aber deklinieren
uns live wie auch auf dem aktuellen Album Testament der
Angst erst einmal die Grundbegriffe auseinander, ohne die
ein etwaiger Angriff auf verhasste Zustände gar nicht erst
möglich ist.
Zwar wird das "Ich" in der
Unterhaltungsindustrie gern
als individualistische Form
von "Wir" beschworen und
somit eine falsche Gemeinschaft erzeugt, die sich allein
über ihr Konsumverhalten definiert. Was aber gern vergessen wird, ist, eine Angriffsfläche für sein Unbehagen in die
Kunst einzuführen, ohne dabei in platte Politparolen zu
kippen.
Das "Ich" benötigt weniger
ein "Wir". Es geht dringlich
darum, dem "Ihr" Paroli zu
bieten. Wie heißt es im zentralen neuen, mit aggressiv sägenden und mahlenden Gitarren und deklamatorischem
Sprechgesang dargebrachten
Song Die Diktatur der Angepassten: "Ihr habt alles falsch
gemacht, habt ihr nie drüber
nachgedacht? Gebt endlich
auf - es ist vorbei!"
Entgegen aller Blumfeld
heuer im Umfeld der Veröffentlichung von Testament der
Angst entgegengebrachten
Vorwürfe, hier nicht nur die
Welt in ein einfaches
Schwarz-Weiß-Schema pressen zu wollen, sondern im
Falle von Songs wie Graue
Wolken oder Weil es Liebe gibt
auch tiefsten und offensichtlich verpönten Schlagerkitsch
als Politik im Privaten zu propagieren: Die hochenergetisch
wie gut gelaunt (!!!) dargebrachte Werkschau im Wiener
WUK erweist sich mit all ihrem naiven Glauben an dieVeränderbarkeit der Zustände
letztlich als ebenso notwendig
wie zwingend.
Fundamentale Kritik, der,
wie Distelmeyer sagt, "Versuch, ein schweres Nein in eine Form zu bringen", und für
diese dann auch gerade zu
stehen, beinhaltet letztlich eine vergessen geglaubte Qualität. Musik mit Haltung.
Grundsätzliche Fragen beinhalten selbstverständlich Widersprüche. Ja, und?! "Ihr habt
die Welt längst aufgegeben,
für Medien, Märkte, Merchandise."
Auch gefällige "Schlager"-Melodien und im Gegensatz
zu den frühen, hochgradig
vertrackten Blumfeld-Alben
Ich-Maschine und L’Etat et moi
bewusst "einfach" gehaltene
Texte können hier über eines
nicht hinwegtäuschen. In Zeiten der völligen Entpolitisierung von Öffentlichkeit ist der
Protest notwendig wie nie.
Behauptungen aufstellen,
Fronten ziehen. Relativieren
kann man später immer noch.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.11. 2001)