Nürnberg - Zehn Monate vor der deutschen Bundestagswahl hat sich Bundeskanzler und SPD-Chef Gerhard Schröder im Grundsatz zur rot-grünen Koalition bekannt, den Koalitionspartner aber zu Disziplin ermahnt. Die Grünen müssten die Frage beantworten, "ob man sich auf die Wirklichkeit einlässt oder ob Nostalgie und Verdrängung auf der Tagesordnung stehen sollen. Mit beiden kann man Deutschland nicht regieren", sagte Schröder am Montag auf dem SPD-Bundesparteitag in Nürnberg im Rückblick auf das knappe Votum des Bundestags für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Zur bisherigen Arbeit der Koalition sagte er, der Reformstau sei beendet, aber es gebe etwa für den Arbeitsmarkt noch viel zu tun. "Ich möchte gerne die Zusammenarbeit fortsetzen. Das muss aber auch gehen." Die Delegierten quittierten die rund 80-minütige Rede Schröders zum Auftakt des Parteitags mit gut zwei Minuten langem Beifall. Ein Teil der Delegierten applaudierte stehend. Im Anschluss war eine Aussprache über die Rede vorgesehen, die formal der Rechenschaftsbericht des SPD-Vorsitzenden war. Am späteren Nachmittag wollten sich Schröder und seine Stellvertreter zur Wiederwahl stellen. Schröder hob auch die Unterschiede zu anderen möglichen Koalitionspartnern hervor. Mit Blick auf die FDP sprach er von "Wirtschaftsliberalen, die ihre Politik nur nach den Börsenkursen ausrichten". Es müsse sich viel ändern, bis sie auf der politischen Bühne wieder eine größere Rolle spiele. Die PDS habe ihre sozialistische Vergangenheit nicht überwunden, und die Union zeige sich führungslos. Mit Blick auf die Monate bis zur Bundestagswahl nannte Schröder die Arbeitslosigkeit das drängendste Problem, machte dafür aber die Konjunktur verantwortlich. Als Exportnation sei Deutschland von ihr eben stärker abhängig als andere Länder. "Die Globalisierung lässt sich nicht aufhalten oder zurückdrehen", sagte Schröder. Mehrere Redner stärkten Schröder in der Frage des Vertrauensvotums, das die Koalition unter Druck gebracht hatte, unter starkem Applaus den Rücken. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt sagte, es sei richtig gewesen, die Vertrauensfrage mit der Abstimmung über das Bundeswehr-Mandat für Afghanistan zu verknüpfen. "Gewissensentscheidungen verlangen eine Abwägung, und sie haben in der Regel Konsequenzen." Die SPD dürfe ihren Kanzler nicht im Regen stehen lassen. Dies gelte auch für die Grünen, von denen einige die Entscheidung vom Freitag sogleich wieder in Zweifel gezogen und den Kanzler beschimpft hätten, kritisierte Schmidt. Ähnlich äußerten sich auch SPD-Generalsekretär Franz Müntefering und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Dieter Schulte. Auch in der Arbeitsmarktpolitik zeigte sich zu Beginn des Parteitags Einigkeit. DGB-Chef Schulte forderte die Arbeitgeber zum Überstundenabbau auf. Das Niveau der Arbeitslosigkeit sei ein Skandal. Die Gewerkschaften hätten ihre im Bündnis für Arbeit gemachten Zusagen erfüllt, die Arbeitgeber nicht, sagte Schulte mit Blick auf die Tarifpolitik. Auch SPD-Politiker forderten Maßnahmen zum Überstundenabbau. Hierzu wird auch in einer Ergänzung des SPD-Vorstandes zum Leitantrag des Nürnberger Parteitags an die Arbeitgeber appelliert, alle Möglichkeiten zur Beschäftigungssicherung auszuschöpfen. Die 523 Delegierten sollen den Leitantrag "Sicherheit im Wandel" am Mittwoch beschließen. Nach den Prognosen des Sachverständigenrates werden kommendes Jahr im Schnitt knapp vier Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos sein. Der SPD-Parteitag geht bis Donnerstag und findet unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt. Er steht im Zeichen des Afghanistan-Kriegs und der Frage des deutschen Beitrags zum internationalen Kampf gegen Terrorismus. Schröder hatte am Freitag die Entscheidung über die Bereitstellung von Soldaten für einen Einsatz im Afghanistan-Konflikt im Bundestag mit der Vertrauensfrage gekoppelt. Unter dem Druck der Vertrauensfrage hatten vier der acht erklärten Gegner innerhalb der Grünen-Fraktion für den Einsatz gestimmt, um die Koalition nicht platzen zu lassen. Dies sorgte für Unmut an der Grünen-Basis und dürfte am Wochenende Hauptthema beim Grünen-Parteitag in Rostock sein. (APA/Reuters)