Dabei schaut alles so malerisch aus: Die sorgsam restaurierte Villa Stonborough-Wittgenstein, in der des Dichters und Johannes Freumbichlers, des Großvaters, Nachlässe aufbewahrt und erforscht werden, liegt auf einer Halbinsel am Rande eines leicht abfallenden Parks am Traunsee - flankiert von der "Großen Villa Toskana" und dem "Seehotel", dem Seeschloß Orth. Aus dem Fenster des zweistöckigen Gebäudes, in dessen ehemaligem Wagenhaus zudem ein Veranstaltungsbereich und eine Atelierwohnung für zeitgenössische Künstler eingerichtet wurden, gleitet der Blick auf imposante Bergeshöhen. Wenn nicht gerade Nebel herrscht.
Jedoch: "Die Schönheit der Landschaft soll uns nicht blenden", greift Peter Fabjan, Bruder und Erbe, jeder Verklärung vor. Er, der Gmundner Arzt, weiß um die Bedrohungen, denen seit Bernhards Tod 1989 Werk und Autor ausgesetzt sind. Bekanntlich hatte Bernhard, der "Alpenkönig und Menschenfeind", testamentarisch verfügt, dass nach seinem Tod aus dem Nachlass "kein Wort" mehr veröffentlicht werden darf. Erst nach der Entscheidung Fabjans, die "Thomas Bernhard Privatstiftung" (1998) einzurichten, wurden Aktivitäten rund um Bernhards Hinterlassenschaften auf breiterer Ebene möglich.
"Ob der Dichter das Archiv gewollt hätte", sagt Fabjan und denkt dabei wohl auch an die großzügige Unterstützung der Oberösterreichischen Landesregierung bei der Errichtung, "weiß ich nicht." Schließlich dient das Archiv auch dazu - man kann es drehen und wenden, wie man will -, Bernhards letzten Willen zu desavouieren.
Nur durch die Aufarbeitung des Nachlasses, wie sie seit einiger Zeit durch Archivleiter Martin Huber im Gange ist, wurde etwa die Leseausgabe der Werke Bernhards möglich, die anlässlich der Eröffnung des Archivs vom Suhrkamp Verlag angekündigt wurde. Auf 22 Bände angelegt, werden die ersten drei Bände ("Frost", Kurzprosa und Dramen I) bereits im Herbst des nächsten Jahres erscheinen. Herausgegeben wird die Ausgabe, in der Eingriffe in den Text vermerkt sowie Entstehung und Wirkungsgeschichte der Werke erläutert werden, vom Wiener Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler und Martin Huber.
In die Ausgabe aufgenommen werden ausschließlich Texte, die zu Lebzeiten des Schriftstellers publiziert wurden. Nicht die Prosatexte und Gedichte des frühen Bernhard etwa, die teils bereits in einer Ausstellung in diesem Frühjahr präsentiert wurden, nicht der aus dem Jahre 1960 stammende Roman "Schwarzach St. Veit". Mit der (finanziell wohl nicht unlukrativen) Ausgabe gehe es darum, Klarheit im Dichterreich zu schaffen. Schmidt-Dengler: "Gerüchte über das Werk tragen nur zu einer weiteren Mystifikation Bernhards bei."