Graz - Eine revolutionäres medizinisches System, das die Lebensqualität und -erwartung von Diabetikern wesentlich verbessern könnte, ist am neu gegründeten Institut für Medizinische Systemtechnik und Gesundheitsmanagement der steirischen Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Entwicklung. Unter der Leitung des Grazer Diabetologen Thomas Pieber von der Universität Graz, arbeitet ein Team von rund 30 Wissenschaftern an der Verwirklichung einer künstlichen Bauchspeicheldrüse, die - am Körper getragen - den Blutzucker kontinuierlich misst und entsprechende Mengen von Insulin freigibt. Blutprobe nehmen, Insulinmenge berechnen, spritzen - und das fünf Mal am Tag. Diese Prozedur gehört so sehr zum Alltag eines Diabetikers "wie essen, trinken, schlafen", so ein Diabetespatient am Rande der Eröffnungsveranstaltung der neuen Grazer Forschungseinrichtung. Die in Graz in Entwicklung befindliche tragbare Bauchspeicheldrüse, könnte den Patienten nicht nur das lästige Prozedere ersparen, sondern zugleich auch die Lebenserwartung steigern, da es dafür sorgen soll, dass der Blutzuckerspiegel wirklich exakt gehalten wird und so die heimtückischen Folgekrankheiten vermieden werden. Offene Mikroperfusion Das von Pieber gemeinsam mit Forschern der Grazer Technischen Universität entwickelte System, das nun zur Serienreife gebracht werden soll, beruht auf der "offenen Mikroperfusion", die das Insulin nicht im Blut, sondern direkt im Fettgewebe misst, so Pieber. Dabei benötigt man einen hauchdünnen Doppellumenkatheter, der knapp unter der Haut geführt wird und sowohl Flüssigkeit in das Gewebe abgeben als auch nach einer gewissen Zeit wieder absaugen kann. Zur Messung des Insulinspiegels wird eine ionenfreie isotone Flüssigkeit eingepumpt, die sich mit der interzellaren Flüssigkeit des Gewebes vermischt. Hochsensiblen Sensoren messen dann den Blutzuckerwert in der angesaugten Lösung. Verändert sich der Insulinspiegel zu Ungunsten des Patienten, soll eine Insulinpumpe aktiviert werden, die dann die exakt erforderliche Menge an Insulin an das Gewebe abgibt. "Dadurch wollen wir eine laufende Optimalversorgung des Patienten erreichen", so Pieber. Bis es so weit ist, heißt es allerdings noch ein wenig warten: Vor wenigen Wochen wurden erste Versuche mit dem System am Patienten unternommen, die erst einmal die erfolgreiche Steuerung des Blutzuckerspiegels über acht Stunden unter Beweis stellten. Im Serien reifen Gerät, soll eine "Rund-um-die Uhr"-Betreuung möglich sein. Weiters arbeitet man an der Miniaturisierung des Gerätes. "Ende nächsten Jahres" soll der erste Prototyp fertig gestellt sein, bis zur Serienreife werde es dann wohl noch weiter fünf Jahre dauern, schätzt der Mediziner. Kooperation von vier Institutionen Vier steirische Institutionen haben sich in Graz zum Institut für Medizinische Systemtechnik und Gesundheitsmanagement unter der Gesamtverantwortung der steirischen Forschungsgesellschaft Joanneum Research zusammengeschlossen um das Projekt rund um die "tragbare Bauchspeicheldrüse" voranzutreiben. Beteiligt sind Mediziner, Medizintechniker, Chemiker und Biologen, Informatiker und Statistiker der Grazer Universitätsklinik, der Technischen Universität, der steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft (KAGes) und der Joanneum Research GmbH. "Unser vorrangiges Ziel ist es, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern - durch Innovationen in der medizinischen Forschung und durch verbesserte Ressourcennutzung im Gesundheitssystem", formulierte Institutsleiter Thomas Pieber die Zielsetzung des neu gegründeten Institutes, das seinen Sitz am Gelände des LKH Graz hat. Das "Bauchspeicheldrüsen-Projekt" ist allerdings nicht der einzige Arbeitsschwerpunkt des Forscherteams: "Mit dem auf Mikroperfusionstechnik basierendem Katheter wird auch die Messung von verschiedensten Stoffwechselprodukten möglich sein", so der Mediziner. Vier Betten So soll man in Zukunft auch die Wirkung von Medikamenten oder von dermatologischen und kosmetischen Salben "am Ort des Geschehens" überprüfen können. Durch die enge Kooperation der Partner sollen alle Schritte von der Hypothesenentwicklung bis zur Integration der Daten "unter einem Dach" erfolgen, so Pieber. Weiters wendet man sich auch der Überprüfung neuer Therapieformen, wie der klinischen Testung neuer Insuline und der Evaluierung medizinischer Systeme zu. Für die klinische Testung stehen den Testpersonen vier "Forschungsplätze" (Betten) zur Verfügung. Ein zweiter Schwerpunktbereich ist dem Gesundheitsmanagement gewidmet: "Chronisch Kranke werden in Österreich suboptimal versorgt", so Pieber. Da man bei chronisch Kranken nicht solche "sichtbaren Effekte" wie bei Akutpatienten vorweisen könne, werde diese Bereich nach wie vor im medizinischen Alltag unterschätzt. Was allerdings am Beginn einer chronischen Erkrankung nicht investiert wird, käme als Spätfolge auf die Sozialversicherungsträger zurück. "Wir haben langjährige Erfahrung im Qualitätsmanagement der Diabetesbehandlung - von der Struktur - und Indikatorenentwicklung über das Datenmanagement bis hin zum verbesserten Outcome", so Pieber. Nun wolle man den Erfahrungsschatz auch anderen Ärzten und Kostenträgern zur Verfügung stellen. (APA)