Wien - Auf den ersten Blick sieht es wie Bürgernähe im 21. Jahrhundert aus: Behörden informieren Bürger per E-Mail vom Ergebnis eines Verfahrens. Dies sieht eine Novelle des Zustellgesetzes vor, die im Zuge der Verwaltungsreform heute, Mittwoch, im zuständigen Parlamentsausschuss behandelt werden soll. Das Ganze funktioniert ähnlich wie elektronische Postkarten, die heute hunderttausendfach versandt werden: Der Adressat erhält die Nachricht, dass an einer bestimmten Internetadresse mit einem bestimmten Code eine "Postkarte" abgeholt werden kann, klickt auf Adresse samt Code, und sein Webbrowser zeigt die Grüße an. Im Falle von Behördenakten wird die Sendung der Behörde (z. B. ein Bescheid oder ein Gerichtsurteil) an einer "technischen Einrichtung" (einem Server) der Behörde hinterlegt, der betreffende Adressat von der Hinterlegung per E-Mail informiert. Nach Eintreffen der Benachrichtigung per E-Mail, so die Überlegung des Ministeriums für "öffentliche Leistung und Sport", holt der Empfänger seine Sendung vom betreffenden Server ab. Der Vorteil: Anders als bisher muss der Empfänger nicht aufs Postamt pilgern, wenn in seinem Briefkasten eine Benachrichtigung über die Hinterlegung eines Rückscheinbriefs (die derzeitige Form der Zustellung von Bescheiden und Urteilen) eingetroffen ist. Der Pferdefuß, den Justizministerium, Rechtsanwälte und die Grünen an der neuen Form der Zustellung sehen: Alle Beweislast, über das Schriftstück nicht informiert worden zu sein, liegt künftig beim Bürger. Denn "die Bereitstellung der zuzustellenden Sendung entspricht der Hinterlegung", sieht die Novelle vor. Ist die Verständigungsmail jedoch aufgrund einer technischen Panne nicht eingetroffen oder wurde sie inmitten von Dutzenden "Spams" (Kettenbriefe, Werbemails) versehentlich gelöscht, beginnt dennoch der Fristenlauf für den jeweiligen Bescheid. "Eine kleine Unachtsamkeit oder das Versagen eines PC-Programms kann BenützerInnen um ihre Rechte bringen", kritisiert die grüne Abgeordnete Madeleine Petrovic das Vorhaben. "Rechtsstaatswidrig" Harsch fallen auch die Stellungnahmen von Rechtsanwälten und dem Justizministerium aus. Die Bestimmung über die "elektronische Bereithaltung" sei "als rechtsstaatswidrig abzulehnen", urteilt der Präsident der Tiroler Rechtsanwaltskammer, Georg Santer, in seiner Stellungnahme. "Auf solche Weise wird das Risiko derartiger technischer Einrichtungen, insbesondere ihre gänzliche oder teilweise Funktionsunfähigkeit, dem einzelnen Rechtsunterworfenen überbürdet." Und auch das Justizministerium, das im Zuge des elektronischen Rechtsverkehrs (einem geschlossenen System für Anwälte und Gerichte) bereits langjährige Erfahrungen mit der sicheren elektronischen Zustellung von Gerichtsentscheiden hat, sieht "größte Probleme". Zumindest im Bereich der Gerichtsbarkeit könne das Verfahren "nicht übernommen werden", bezieht Gerhard Hopf für den Justizminister Stellung und verlangt, dass die neue Zustellung allenfalls nur für den Verwaltungsbereich gelten dürfe. (Helmut Spudich, DER STANDARD, Printausgabe 14.11.2001)