Justizminister Böhmdorfer setzte nach den Falter -Berichten über die Todesfälle und Missstände in der Justizanstalt Stein eine Experten-Kommission zur Prüfung der Vorfälle ein. Nun werden die Ergebnisse unter Verschluss gehalten, die Beamten des Justizressorts mit Sprechverbot belegt. Böhmdorfer weiß, warum er den Bericht nicht der Öffentlichkeit präsentiert. In zwei Monaten Recherche hatten 22 Experten (darunter Ministerialbeamte, Universitätsprofessoren, Ärzte und Justizwachebeamte) jene Missstände in Österreichs Strafvollzug in 145 Seiten offen gelegt, die der Falter in einer Artikel Serie im Sommer veröffentlicht hatte. Der Bericht liegt dem Falter vor und ist ab Mittwoch unter www.falter.at abrufbar. „Der Strafvollzug liegt seit Jahren im Argen, wir brauchen dringend Geld“, meint ein Kommissionsmitglied. Es gebe „zu viele psychisch Kranke in Haft, zuwenig Personal, kaum Psychiater, überforderte Justizwachebeamte, verkrustete Strukturen“. Die "Großen" besonders problematisch" Der Bericht der Kommission spricht Klartext: "Besondere Probleme zeigen sich vor allem in den drei großen Strafvollzugsanstalten mit Sonderabteilungen (Stein, Karlau, Garsten)". Diese Anstalten seien "personell unzureichend dotiert". Für 112 geistig abnorme Rechtsbrecher stünden nur 39 Sonderabteilungsbetten zur Verfügung. Auch im größten Wiener Gefängnis in der Josefstadt gäbe es „Überbelag, reduzierte Effizienz der Krisenbewältigung und unzureichende Ausstattung“. Der Kommissionsbericht kritisiert aber auch den zwischenmenschliche Umgang mit psychisch auffälligen Häftlingen. Im Umgang mit suizidgefährdeten Gefangenen hätten „Teile der Justizwachbediensteten eher kustodiales Bewusstsein als Interesse und Verständnis für die gesetzlich geforderten Betreuungs- und Behandlungsaufgaben“, heißt es. Dies, so warnen die Experten , könne „zu einem eher unprofessionellen Umgang mit den Häftlingen, speziell in Krisensituationen, führen“. Es komme in solchen Akutsituationen oft zu einer „Verzettelung der Verantwortung“. Gefangenenhäuser würden Selbstmordankündigungen und Informationen durch Anwälte und Familienmitglieder nicht selten als „Belästigung“ empfinden. Mangel an Psychiatern Besonders krass stellt sich die Versorgung der Gefängnisse mit Psychiatern dar. In Stein, wo bereits 70 Prozent der Gefangenen als „psychisch auffällig oder gestört“ vermerkt werden, könne eine entsprechende Behandlung nur in „beschränktem Ausmaß“, vorgenommen werden, da „das für eine Betreuung erforderliche Personal (...)bei weitem nicht vorhanden“ sei. Die Justizanstalt Göllersdorf (jene Anstalt, in der nur geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht sind), „ist die einzige Sonderanstalt, in der rund um die Uhr eine psychiatrische Versorgung gegeben ist“. Im Juli hatte Justizminister Dieter Böhmdorfer noch in einem ORF Report-Interview versichert, dass es weder „Sicherheits- noch Personalmängel gibt“, Kritik am Strafvollzug wies er als „unsachliche Meinung“ zurück. Zum Expertenbericht will Böhmdorfer nicht Stellung nehmen. Justizministerium: Polemische Interpretation Das Justizministerium wies die im "Falter" erhobenen "polemischen Interpretationen des Expertenberichtes Strafvollzug" in einer Aussendung zurück. Die Experten hätten ihre Aufgabe darin gesehen, "besonders motivierte, mit viel Fachwissen und hoher sozialer Kompetenz agierende Justizwachebeamten" mit ihren Vorschlägen zu unterstützen. Die "skandalisierenden Darstellungen" des "Falter" gingen an dieser Zielsetzung völlig vorbei. Das Bundesministerium für Justiz prüfe nun die Umsetzung von Verbesserungsvorschlägen aus dem Expertenbericht. (red/APA)