Claus Philipp

Wien - Filmvorführungen mit Livemusik - das ist nicht selten eine problematische Paarung. Kürzlich etwa bei Wien Modern versuchte sich das Ensemble 20. Jahrhundert unter der Leitung von Peter Burwik an Luis Bunuels Andalusischem Hund, und dabei war die schlecht gebeamte Videokopie nur eine der ärgerlichen Facetten dieses Abends.

Klar. Der Film läuft. Unbeirrbar. Automatisch. Dagegen anzukämpfen ist ebenso sinnlos, wie Bilder musikalisch zu illustrieren oder gar zu verdoppeln. Und angestrengte komplexe Deutung tut auch weh.

Von einer Sternstunde ist nun aber zu berichten: Wolfgang Mitterer führte am Sonntagabend im Großen Saal des Konzerthauses vor rund 1000 Besuchern einen Solodialog mit einem Meisterwerk, an dessen Vertonung man eigentlich nur scheitern kann (wenn man nicht ohnehin bei Ver-Tonungen wie bei Ver-Filmungen das "Ver" als schlechtes Vorzeichen sieht).

Friedrich Wilhelm Murnaus Dracula-Deutung Nosferatu ist ja selbst schon hoch musikalisch in Bild und Montage. Und in seiner Beschwörung von Naturgewalten, die gegen hoch manieriertes Spiel etwa des Titelhelden Max Schreck antoben, derart vieldeutig, dass jede eitle "Lesart" den Schauder und den Genuss nur vermindert. Wolfgang Mitterer erkannte in dieser No-win-Situation ganz richtig: Angriff ist die beste Verteidigung.

Schon bei den Titelinserts heulte die Orgel förmlich los, und als in weiterer Folge elektronische Soundsamples Opernarien andeuteten, Endlosloops den Automatismus des Kinos gegen lineare Handlungen verstärkten und künstliche Tonschrammen das Wahrnehmungsgleichgewicht endgültig aushebelten, da wurde klar: Hier versenkt sich einer in seinen eigenen Schrecken, anstatt den Grusel auf der Leinwand zu untermalen. Mitterer tat dies ganz offenkundig in bester Kenntnis von Murnaus Film, einer absolut disziplinierten Verinnerlichung des Materials, aus der heraus er umso freier improvisieren konnte.

Das Publikum, in dem sich nicht wenige junge und eher an Hollywoods Horror geschulte Menschen befanden, war unübersehbar überwältigt. Einige Teenager stammelten im Foyer nachher etwas von "cool". Ein versierterer Wien Modern-Besucher befand ganz richtig: "Schädeldeckenhebend". Es wäre jedenfalls geradezu kriminell, wenn die Paarung Murnau-Mitterer nicht noch Wiederholungs-vorführungen geben würde. Auch eine DVD-Edition wäre anzudenken: Murnau solo, Mitterer solo, beide zusammen. Jede dieser Konstellationen ist für sich ein Erlebnis.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.11. 2001)