Wolfgang Schaufler

Wien - Berlin 1976. Der Dichter spricht: "Ich mag die Oper nicht, Herr Feldman." Antwort des amerikanischen Komponisten: "Ich verstehe Sie sehr gut." Samuel Beckett hakt nach: "Ich mag es nicht, wenn meine Worte vertont werden." Antwort des Amerikaners: "Ich habe eine Menge Stücke mit Stimme geschrieben, und sie sind textlos." Konter des irischen Poeten: "Aber was wollen Sie dann?" Feldman: "Keine Ahnung."

Typisch Feldman. Einordnung unmöglich. Auch will er keine Spuren legen, die einen analytischen Zugang erleichtern. Wer über seine verstörend-hypnotische, aufregend-oszillierende Musik schreiben will, steht vor dem Problem, dass sie sich mit dem herkömmlichen Instrumentarium der Musikwissenschaft kaum "knacken" lässt. Systeme und Konzepte lehnte Feldman grundsätzlich ab. Seine Musik gleicht eher einer "Zeitleinwand, die mit Klang bemalt wird". Die Dauer der Stücke: oft mehrere Stunden.

Wenn man Don Juan unterstellt, er hätte sich mit den Frauen nur deshalb eingelassen, weil er im Grunde vor ihnen weglaufen will, so verhält es sich beim Verhältnis zwischen Feldman und der Komposition ähnlich: permanente Flucht durch den direkten Zugang darauf.

Ähnlich dem Schriftsteller António Lobo Antunes interessierte Feldman am Schreiben die "vollkommene Amnesie" nach Vollendung der Arbeit. Erst die Lücken der Erinnerung ermöglichten ihm das "unaufhörliche Nachfüllen" seiner Feder. Die Engel der Vergesslichkeit, wie es im Talmud heißt, waren die Schwestern seiner Kreativität. Auf die Frage, warum er komponiere, antwortete Feldman aber auch: aus Trauer darüber, dass Schubert gestorben ist.

Im oft zitierten Aufsatz "Weder/Noch" aus 1968 erklärte Feldman sein Verhältnis zu Europa allerdings so: "Jahrhundertelang waren wir die Opfer der europäischen Zivilisation. Und alles, was uns Europa gegeben hat, ist eine Entweder-Oder-Situation - in der Kunst wie in der Politik." Feldman, 1926 als Sohn jüdischer Immigranten aus Litauen in New York geboren, scheute die Begrifflichkeit wie Schönberg den Mittelweg.

Zumindest im vermeintlich geschichtslosen Amerika traf er auf Gleichgesinnte. "Entfallen des Klebstoffs" zwischen den Tönen, wie es John Cage unübertroffen formulierte, verband Feldman nicht nur mit diesem, sondern auch mit Earl Brown und Christian Wolff. Jedes Schallereignis taugte zum Material, nicht nur die hierarchische Ordnung der Elemente wurde obsolet, sondern Ordnung überhaupt.

Film und Malerei

Das bezog sich auch auf die Ausführenden, denen die oft grafisch notierten Werke Mitverantwortung in der Gestaltung einräumten. Dass er damit in großem Kontrast zu den strengen Baumeistern der seriellen Technik stand, ist evident. Heute ist Feldman auf dem Weg zur Kultfigur.

Wien Modern stellt nun einen unbekannten Feldman vor. "Feldman I - Painter's Portraits" (10. 11. mit dem ensemble recherche) und "Feldman II - piano" (24., 25. 11., Markus Hinterhäuser mit Uraufführungen) warten mit etlichen Raritäten auf und zeigen Feldmans enge Verbindung zu Film und Malerei. Mit Jackson Pollock und Willem de Kooning war er befreundet. Zum Live-Painting schrieb er betörende Musik, die am Samstag erstmals in Österreich live zu den Filmen "Painter's Portraits" gespielt wird. Schließlich gibt es am Samstag auch "Words and Music für zwei Sprecher und Ensemble (1961/87)" von Samuel Beckett/Morton Feldman. Ob sie wussten, was sie wollten? Wir werden es hören.


(DER STANDARD, Print, Sa./So. 10./11.11.2001)