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Wien - Die Europäische Kommission hat am 15. Oktober 2001 eine Mitteilung bezüglich der Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge herausgegeben. Nach der Mitteilung der Kommission über die Berücksichtigung von Umweltbelangen vom 4. Juli 2001 liegt damit eine weitere offizielle Interpretation des geltenden europäischen Vergaberechts betreffend so genannter "vergabefremder Kriterien" vor - also solcher, die nicht unbedingt direkt wirtschaftlich günstige Auswirkungen auf den betreffenden Auftrag haben. Bisher bestand die Problematik darin, dass zwar (gewisse) öffentliche Auftraggeber aufgrund ihrer staatsnahen Funktionen gehalten sind, bei der Vergabe von Projekten soziale Belange zu beachten, die bestehenden EU-Vergaberichtlinien jedoch die Berücksichtigung solcher Erwägungen nicht generell vorsehen. Geltendes Recht Die Kommission geht nun in ihrer neuen Mitteilung davon aus, dass es schon aufgrund der geltenden europäischen Rechtslage möglich ist, soziale Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in gewissen Grenzen zu berücksichtigen. Im Rahmen der Neugestaltung der EU-Vergaberichtlinien, deren Entwürfe bereits vorliegen, wird diese Möglichkeit in Zukunft noch erweitert werden. Dem Begriff "soziale Belange" gibt die Kommission in ihrer neuen Mitteilung weite Anwendung, die sehr unterschiedliche Bereiche abdeckt: Unter anderem gehören dazu demnach die Einhaltung der Grundrechte, der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung (beispielsweise zwischen Mann und Frau) oder einzelstaatlicher sozialrechtlicher Vorschriften. Umfasst sind außerdem die Umsetzung der einschlägigen EU-Richtlinien (zum Beispiel über Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz) und auch Präferenzklauseln (beispielsweise über die Wiedereingliederung von benachteiligten oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Personen und positive Diskriminierung, insbesondere im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der sozialen Ausgrenzung). Die Kommission führt unter anderem als Möglichkeit zur Berücksichtigung sozialer Belange bei öffentlichen Aufträgen schon die Wahl des Auftragsgegenstandes an. Das heißt, der Auftraggeber kann diejenigen Waren, Dienstleistungen oder Bauarbeiten wählen, die seinen sozialpolitischen Anliegen entsprechen. Dabei kann der Auftraggeber auch die technischen Spezifikationen entsprechend wählen und sogar - in engen Grenzen - sozialpolitisch relevante Eignungskriterien für die Auswahl der Bewerber oder Bieter festlegen. Wirtschaftlicher Vorteil Bei der Bewerbung um die Angebote können - sofern das Bestbieterprinzip zur Anwendung kommt - Kriterien berücksichtigt werden, die soziale Gesichtspunkte beinhalten. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, dass sie dem Auftraggeber einen wirtschaftlichen Vorteil bieten, der mit dem eigentlichen Auftragsgegenstand zusammenhängt. Ebenso kann bei der Auftragsausführung und öffentlichen Aufträgen, die nicht durch die Vergaberichtlinien geregelt sind, die Berücksichtigung sozialer Zielsetzungen möglich sein. Dabei ist jedoch immer darauf zu achten, dass dies nicht zu einer Diskriminierung von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten führt. Insgesamt beinhaltet die Mitteilung der Kommission eine Klärung schwieriger Interpretationsfragen des Vergaberechts. Die Beachtung sozialer Belange durch öffentliche Auftraggeber kann nun auf einer entsprechend klareren Grundlage erfolgen. (Raoul Hoffer, Der Standard, Printausgabe, 06.11.2001) (Dr. Raoul Hoffer ist Partner bei Binder Grösswang Rechtsanwälte in Wien. Dr. Raoul Hoffer