"Ich bin froh, dass ich der Regierung nicht allzu fern stehe", meinte der Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, in der ORF-Pressestunde. Ob aber auch die österreichische Wirtschaft darüber froh sein kann, wie Leitl dieses Naheverhältnis auslebt, ist eher zweifelhaft.

Denn in essenziellen Fragen vertritt Leitl sehr staatstragend die intellektuell eher schlichten Positionen der Regierung - als ob er schon für einen anderen Job trainieren würde. So lehnt es der Wirtschaftskammer-Boss ab, mit Steuersenkungen in Zeiten wie diesen die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern. "Wir können nur ausgeben, was wir zuerst verdient haben, das Budgetdefizit von heute sind die Steuern von morgen", liebt es Leitl, Milchmädchenrechnungen zu präsentieren.

Und übersieht dabei einige kleine Fakten: Österreich ist einerseits mit einer Abgabenquote von fast 47 Prozent unter den Steuerspitzenreitern in Europa. Andere Länder erzielen mit weitaus niedrigeren Steuern Überschüsse am laufenden Band. Der logische Schluss: In Österreich versickern die Steuermittel im Sand der Beamtenburgen, sie werden von anachronistischen Verwaltungsapparaten wie Landesregierungen, machtlosen Landesparlamenten und überholten Förderungen - etwa des Wohnbaus - aufgefressen.

Die Wirtschaft büßt für die Versäumnisse der Regierung, die Verwaltungsreform mit Nachdruck voranzutreiben. Das kommt Leitl aber so nicht über die Lippen. Höchstens wird halblaut ein bisschen "aufgemuntert". Lieber keine Steuersenkung, dafür Nulldefizit und ein paar Pleiten mehr. So ein Pech auch.

Nulldefizit kann ja ernsthaft nur bedeuten, dass Österreichs Verwaltungsstrukturen so gestaltet werden, dass in normalen, durchschnittlichen Jahren nicht mehr ausgegeben als eingenommen wird - also das strukturelle Defizit verschwindet. Aber dieses Projekt ist noch nicht einmal im Ansatz begonnen worden. Nie und nimmer bedeutet Nulldefizit, dass in Krisenzeiten der Staat nicht helfen darf. Leitl reiht sich aber auch in die Reihe derjenigen ein, die aus dem guten Ziel einen schlechten Marketingschmäh für die nächsten Wahlen machen.

Geschwiegen hat der Wirtschaftskammer-Chef auch, als das viele Milliarden Schilling teure Kinderscheck-Projekt der FPÖ abgesegnet wurde. Obwohl er wissen müsste, dass damit die versprochene Senkung der Lohnnebenkosten nicht mehr zu finanzieren ist. Kholsche Spießbürgergesellschaft statt moderner Wirtschaftsstrukturen. Statt hörbar für eine Lohnnebenkostensenkung plädiert Leitl nun dafür, die Nebenkosten auch auf die Lohnzettel zu schreiben. Ein wahrlich hübscher Ersatz. Wenn Leitl dann die wirklichen Probleme anspricht, dann nur leise, in Nebensätzen versteckt. EU-Nachbarländer senken die Steuern. Ungarn, Tschechien, die Slowakei werden bald als EU-Mitglieder mit hohen Investitionsförderungen rechnen können. Österreich verliert damit als Standort an Attraktivität. Leitl fällt dazu nicht viel mehr ein als: "Österreich wird sich entscheiden müssen, ob es zur ausgepressten Zitrone oder zur süßen Orange wird." Für solche ausführlichen Expertisen zahlen die Unternehmen sicher gerne. Dass es eher die Überlegungen und Wünsche der Regierung sind, die ihn interessieren, zeigen noch zwei andere Beispiele: Bei der gefeierten Regelung zur "Abfertigung neu" brannte zwar in seinem Innersten der Wunsch, die Abfertigung - ein Überbleibsel aus einer Notkriegsverordnung von 1917 - abzuschaffen. Dies wäre aber unrealistisch, sagt er. Vermutlich. Aber im Interesse der Unternehmen. Viel realistischer allerdings wäre damit aber auch eine Kopfwäsche durch seine wirtschaftsferne ÖVP und Peter Westenthaler gewesen. Und die Zustimmung der Kammer zur "Formil"-Fusion von News und trend/profil hat zwar ein 100-Prozent-Monopol und einen nun wettbewerbsfreien Anzeigenmarkt gebracht - aber es war halt, so hört man, ein Wunsch von "ganz, ganz oben".(Michael Moravec, Der Standard, Printausgabe, 05.11.2001)