Mary Massarini kennt die Präsidenten und Kanzler dieser Welt. Kein Wunder: Seit Richard Nixon US-Präsident war, betreut sie ausländische Staatsoberhäupter im Blair-House, dem offiziellen Gästehaus des US-Präsidenten, und sorgt für deren Sicherheit. Indem sie Journalisten und andere lästige Menschen auf Distanz hält, mit robusten Worten oder notfalls auch mit drohend erhobenem Gehstock. Der 75-jährigen Sicherheitslady sind dabei alle Staatsgäste gleich, ob sie nun Wolfgang Schlüssel oder Tony Blair heißen: "Jeder von ihnen ist interessant."

Amerikanische Journalisten sind da viel weniger diplomatisch. Österreichs Bundeskanzler ist zu Besuch bei US-Präsident George W. Bush und gibt danach ein Pressebriefing auf dem Rasen des Weißen Hauses? Schön und gut, aber die US-Journalisten gehen nicht hin und hören lieber 100 Meter weiter der Pressekonferenz des Sprechers des Weißen Hauses zu. "Wenn Bush nicht dabei ist, brauchen wir Schüssels Briefing nicht zu covern", erklärt der White-House-Korrespondent der New York Times das einfache Prinzip, wem zugehört wird und wem nicht.

Kein Wunder, dass Schüssels Besuch bei Bush in den US-Medien praktisch unerwähnt blieb. Nur im Fernsehen, bei der live übertragenen Pressekonferenz von Bush-Sprecher Ari Fleischer, wurde Schüssels Besuch von Fleischer kurz angesprochen - und ließ die US-Journalisten aber ziemlich kalt. Keine Fragen zu Schüssel: Anthrax vor Austria.

Genau wegen dieser Prioritätensetzung wollte Bush auch nicht mit Schüssel vor die Journalisten kommen, sagt ein Vertreter der österreichischen Botschaft in Washington: "Die US-Journalisten hätten da nur nach Anthrax gefragt, nicht nach Österreich, und Bush wollte offenbar keine Fragen dazu beantworten." Eine Bewertung von Schüssel sei das keineswegs, Bush habe nicht viel Zeit, und dem Besucher vor Schüssel, Josef Kabila, Kongos Präsident, sei es genauso ergangen.

Sehr gutes Gespräch

Die Medienberichterstattung muss kein Maßstab für jeden sein. Für Schüssel war sein Besuch, der erste bilaterale seit sieben Jahren, ein "sehr gutes Gespräch" mit Bush, das mit knapp einer Stunde fast doppelt so lang wie geplant dauerte. Ein Gespräch von dem, ist Schüssel überzeugt, auch Bush profitierte: "Niemand soll sich wichtiger nehmen, als er ist. Aber im Kampf gegen den Terrorismus ist eines essenziell, möglichst viele Informationen zu bekommen."

Der Kampf gegen den Terrorismus sei das einzige Thema, das die Amerikaner derzeit interessiere, sagt Schüssel. Das habe er bei all seinen Gesprächen bemerkt: beim Treffen mit Kongressabgeordneten, beim Mittagessen mit Vertretern von Think-Tanks und bei Bush selbst. Alles andere seit derzeit völlig nebensächlich. Das kann auch seine angenehmen Seiten haben. Ob irgendjemand nach Jörg Haider oder der FPÖ gefragt habe? Nein, sagt Schüssel: "Die FPÖ war nie ein Thema." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3./4. November 2001)