Amerikanische Journalisten sind da viel weniger diplomatisch. Österreichs Bundeskanzler ist zu Besuch bei US-Präsident George W. Bush und gibt danach ein Pressebriefing auf dem Rasen des Weißen Hauses? Schön und gut, aber die US-Journalisten gehen nicht hin und hören lieber 100 Meter weiter der Pressekonferenz des Sprechers des Weißen Hauses zu. "Wenn Bush nicht dabei ist, brauchen wir Schüssels Briefing nicht zu covern", erklärt der White-House-Korrespondent der New York Times das einfache Prinzip, wem zugehört wird und wem nicht.
Kein Wunder, dass Schüssels Besuch bei Bush in den US-Medien praktisch unerwähnt blieb. Nur im Fernsehen, bei der live übertragenen Pressekonferenz von Bush-Sprecher Ari Fleischer, wurde Schüssels Besuch von Fleischer kurz angesprochen - und ließ die US-Journalisten aber ziemlich kalt. Keine Fragen zu Schüssel: Anthrax vor Austria.
Genau wegen dieser Prioritätensetzung wollte Bush auch nicht mit Schüssel vor die Journalisten kommen, sagt ein Vertreter der österreichischen Botschaft in Washington: "Die US-Journalisten hätten da nur nach Anthrax gefragt, nicht nach Österreich, und Bush wollte offenbar keine Fragen dazu beantworten." Eine Bewertung von Schüssel sei das keineswegs, Bush habe nicht viel Zeit, und dem Besucher vor Schüssel, Josef Kabila, Kongos Präsident, sei es genauso ergangen.
Sehr gutes Gespräch
Die Medienberichterstattung muss kein Maßstab für jeden sein. Für Schüssel war sein Besuch, der erste bilaterale seit sieben Jahren, ein "sehr gutes Gespräch" mit Bush, das mit knapp einer Stunde fast doppelt so lang wie geplant dauerte. Ein Gespräch von dem, ist Schüssel überzeugt, auch Bush profitierte: "Niemand soll sich wichtiger nehmen, als er ist. Aber im Kampf gegen den Terrorismus ist eines essenziell, möglichst viele Informationen zu bekommen."