Anscheinend haben die Unionsparteien CDU/CSU nicht genug Probleme: Dass jetzt auch noch Wolfgang Schäuble als dritter Bewerber um die Kanzlerkandidatur ins Spiel kommt, ist ein Eingeständnis dessen, was die SPD öffentlich behauptet: CDU-Chefin Angela Merkel wird die Kanzlerkandidatur nicht zugetraut, und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber traut sich nicht.

Dass das Votum für Schäuble vom Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten Michael Glos kommt, ist kein Zufall. Glos wird von seinem Parteichef Stoiber häufig losgeschickt, um die Resonanz zu testen oder das Feld für eine Entscheidung zu bereiten. Es könnte sein, dass sich Stoiber entschieden hat, nicht gegen Gerhard Schröder anzutreten. Würde er Merkel die Herausfordererrolle überlassen, könnte ihm dies als Feigheit ausgelegt werden. Schäuble könnte Stoiber dagegen ohne Gesichtsverlust den Vortritt lassen, da er bei CDU und CSU Autorität genießt. Da die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Schäuble in Zusammenhang mit der Spendenaffäre eingestellt hat, ist der Ex-CDU-Parteichef auch politisch rehabilitiert.

Dass Schäuble sich angesichts der ihm zugedachten Rolle als Retter in der Not geschmeichelt fühlt und bisher nicht dementiert hat, ist verständlich. Helmut Kohl hat ihn um die Chance gebracht, Kanzler zu werden: Zum ersten Mal, als Kohl sich nicht an den Plan hielt, seinem Kronprinzen 1996 das Amt zu übergeben. Dann hätte Schäuble die zwei Jahre bis zur Wahl beweisen können, dass er trotz Behinderung Kanzler sein kann. Zum zweiten Mal, als die von Kohl verantwortete Spendenaffäre ihn zum Rücktritt zwang, obwohl Schäuble mit illegaler Verbuchung nichts direkt zu tun hatte. Schäuble mag persönlich von der Debatte profitieren, sie schadet aber der Partei. Die Union hat es selbst in der Hand: Wenn sie rasch einen Kanzlerkandidaten nominiert, ist die Diskussion vorbei. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.11.2001)