Die große Verführerin unter den Farben dreht in dieser Saison wieder eine Ehrenrunde. So richtig zu entdecken gibt's an der Farbe Rot nicht mehr viel. Gründlich erforscht, oft beschrieben und dank Coca-Cola und Lippenstift vielfach bewiesen, ist seine seduktive Kraft. Keiner der Ausflüge der Kosmetik zu grünen Lippen und ähnlichem war mit Langfristigkeit gesegnet. Magisch angezogen von der Farbe der Farben kreist man wieder ums Rot. Und zwar intensiv wie noch nie. Um dem - vielleicht November-induzierten - Bedürfnis nach noch mehr Rot entgegenzukommen, wird es mit Produkten in Verbindung gebracht, die im Grunde mit Farbe gar nichts zu tun haben, weil ihr Zweck im Körperlosen liegt, wie etwa das Parfum. Lippen wie ein Plüschsofa, und das restliche Gesicht wie eine Mischung aus Gummibärli, Blütenblatt, Himbeereis und was sonst noch haptisch, optisch oder olfaktorisch angenehm und anregend ist, hat Guerlain in eine Make-up-Kollektion verpackt. Mit Météorites Red Fusion wagt sich Guerlain sogar an das heikle Thema Glanz und Rot. Mit solchen Lippen sind eindeutige Absichten nicht mehr zu leugnen. Farbe ist von ihrer Trägersubstanz nicht zu trennen. Yves Saint Laurent steht im heißen Bemühen, das Lippenrot zu perfektionieren, zwar wahrlich nicht allein da, hat aber immerhin was ganz eigenes geleistet. Sérilisse-H ist ein Stoff, der die Lippe glättet und die Feuchtigkeit erhält. Der Effekt: Das Rot von Rouge Vibration fängt nicht an zu bröseln oder sich sonst wie in den Fahrnissen des Alltags zu verlieren. Gut so, denn nichts ist desillusionierender, wie wenn an der Farbe der Zahn der Zeit sichtbar nagt. Schnell und heiß wie eine Nacht unter dem Flitter-Licht der Disco-Kugel - diesem Anspruch wollten die Labor-Zauberer von Dior beim neuen Lippenrot Rouge Addict genügen. Jedes Rot ist leicht irisierend und wirkt, als wär's soeben dem neuen Kylie-Minogue-Video entsprungen. Das unplüschigste Rot, seit es Lippenstifte gibt. Wie Rot riecht, steht nicht so ganz fest. Himbeeren und Erdbeeren lösen - wenn mit geschlossenen Augen erschnüffelt- unzweifelhaft den Rot-Impuls aus. Davon ist aber im neuen Duft von Hermès namens Rouge weit und breit nichts zu riechen: Ylang-Ylang, ein bisschen Rose, Zeder, Sandelholz, Vanille und dann auch noch Gewürze und Harze, damit die flüchtigen Kopfnoten auch ordentlich geerdet sind. Also nicht so direkt Rot. Wär' da nicht eine Verpackung, die mit ihrem glatten Rot an chinesische Paravents erinnert, der Name und das Statement von Hermès, dass Rot alles sei, nur nicht gewöhnlich . . . Der zweite rote Eckpfeiler unter den Parfüms der Saison ist Madness von Chopard, das mit der Hitze der Nacht und der Schönheit der exotischen Frau (in der Werbekampagne vorgestellt vom mexikanischen Hollywood-Import Salma Hayek) kokettiert. Damit's noch röter wird, gibt es alsbald zusätzlich zur bestehenden Produkt-Range ein Extrait de Parfum im Edelstein-artigen Kubus. Wie ein Miniflakon aus einem Riesenrubin - kleiner dürfte er wirklich nicht sein. der Standard/rondo/2/11/01