We are having a considerable discussion about the English title of ,Das Unbehagen' and should be glad if you have any suggestions to offer." Schon die Übersetzung des Begriffs Unbehagen ins Englische bereitete erhebliche Schwierigkeiten, weshalb sich Ernest Jones in einem Brief Anfang des Jahres 1930 ratsuchend an Sigmund Freud wandte. Dessen Ende 1929 (mit der Jahreszahl 1930) erschienene Schrift Das Unbehagen in der Kultur sollte noch weiterhin für einige Diskussionen sorgen, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich nur schwer mit der therapeutischen Mission der Psychoanalyse vereinbaren lässt. Wie schon in Die Zukunft einer Illusion (1927) wandte sich der über 70-jährige Freud hier einem kultursoziologischen Thema zu und ließ damit das intime psychoanalytische Setting weit hinter sich. Wenn die individuelle Psychohistorie - entfaltet auf der Couch - Aufschluss darüber geben soll, was dem Einzelnen zu seinem Glück fehlt (was ihn sein Glück verfehlen lässt), so rührt die Frage nach den Ursachen nunmehr an den Grundfesten menschlicher Gemeinschaft: an die Kultur. Selbst die hochstehendste Kultur - so die Schlussfolgerung aus Freuds Schrift - ist für das menschliche Individuum ein Verlustgeschäft, da jeder Kulturfortschritt mit Verzicht und Triebunterdrückung zu bezahlen ist und im weiteren auch mit einer Erhöhung des (unbewussten) Schuldgefühls und allen unbehaglichen Folgen daraus. Von der Möglichkeit einer heilsamen Kur ist dabei nur mehr hypothetisch die Rede, denn: "was hülfe die zutreffendste Analyse der sozialen Neurose, da niemand die Autorität besitzt, der Masse die Therapie aufzudrängen?" Unbehagen ist nicht ohne weiteres mit Unzufriedenheit gleichzusetzen, im Alltagssprachgebrauch bezeichnet das Wort ein diffuses Ineinander von körperlichem, seelischen und geistigen Unwohlsein, das man weder genau zu orten noch zu begründen weiß. Womöglich ist letzterer Umstand auch entscheidend mitverantwortlich für das Unangenehme dieser Empfindung. Freuds Analyse bietet sich hier als eine Arznei an, die zumindest die vermeidbaren Nebenwirkungen des Übels zu beseitigen verspricht: also jenen Anteil am Unbehagen in der Kultur, der von der Unkenntnis seiner tieferen Ursachen und Zusammenhänge herrührt. Freuds wichtigstes Instrument für dieses Unternehmen ist eine gegen jeglichen Illusionismus und Idealismus abgeschottete, gleichsam heroische Nüchternheit (eine "Vernunftehe" mit seinen "düsteren Theorien" nennt Freud das in einem Brief an Oskar Pfister). Genau das macht auch für seine Schülerin und vertraute Freundin Lou Andreas-Salomé die Überzeugungskraft der Psychoanalyse aus, "daß jemand sie schuf, dessen persönlicher Wunschrichtung es sozusagen kaum recht war, Funde von so tiefer Tiefe zu heben, und der das so Gefundene sich doppelt dicht und nüchtern vor die Augen hob, um es nur ja nicht zu überschätzen". Aus diesem Grund, so schreibt Lou weiter in ihrem Brief an Freud vom 14. Juli 1929, "wußte ich mich ja fortan so wundervoll daheim und gesichert bei Ihnen allein", und am 4. Jänner 1930 frohlockt sie: "Ihr ,Unbehagen' habe ich mit vollem Behagen gelesen." Zweifellos eine paradoxe Befriedigung, doch an irgendeiner - wenn auch raffiniert umgeleiteten - Lustquelle muss sich der mit Kultur geschlagene Mensch schließlich schadlos halten. Der ursprüngliche Zweck seines Lebens bestünde nach Freud freilich darin, ausschließlich dem Programm des Lustprinzips zu folgen, doch befindet sich dieses "im Hader mit der ganzen Welt, mit dem Makrokosmos ebensowohl wie mit dem Mikrokosmos. (. . .) Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich." Folglich ist der Mensch konstitutionell nicht dauerhaft glücksfähig, sehr wohl aber fürs Unglück geschaffen. Nach solch illusionsloser Analyse ist einzusehen, dass weniger Glücksrezepte angesagt sind als verschiedene Techniken der Leidensvermeidung. Freud nennt hier: absichtliche Vereinsamung (gegenwärtig unter dem optimistischeren Namen Single-Boom), Selbstmanipulation durch Drogen, Ertöten der Triebe, wie es z.B. orientalische Lebensweisheit lehrt, schließlich das weite Feld der "Libidoverschiebung" in Verbindung mit Triebsublimierung. Letzterer Strategie gibt der Begründer der Psychoanalyse eindeutig den Vorzug vor allen anderen: Aus der eigenen psychischen und intellektuellen Arbeit Lust zu beziehen, sich als Künstler an seinen Schöpfungen, als Forscher am Erkennen der Wahrheit zu erfreuen sei die beste (allerdings nur wenigen Privilegierten zugängliche) Versicherung gegen das konstitutionelle Unglück des Menschen. Wer nicht selbst schöpferisch schafft, der ist auf passiven Kunstgenuss als Lustquelle verwiesen - eine eher "milde Narkose", wie Freud anmerkt, weit gründlicher zu betäuben vermag "die wahnhafte Umbildung der Wirklichkeit", wozu der Autor ausdrücklich auch den "Massenwahn" der Religionen zählt. Fehlt noch die Liebe, die sich mit dem Ziel der bloßen Unlustvermeidung nicht zufrieden gibt und leidenschaftlich an der Glückserfüllung festhält - was sie, gefühlsökonomisch, erst recht problematisch erscheinen lässt, denn: "Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben." Mit der Frage, warum es denn für uns Menschen so schwer ist, glücklich zu sein, rückt Freud zu seinem eigentlichen Thema vor: Wie kommt es, dass die Kultur, der wir doch sämtliche Strategien und Tröstungsmittel im Kampf gegen das Leiden verdanken zugleich dessen wichtigste und nachhaltigste Quelle ist? Menschheitsgeschichtlich, philosophisch, soziologisch und psychoanalytisch wird die Entwicklung und Funktion der Kultur erörtert, um zu einer in ihrer Trockenheit fast parodistisch anmutenden Definition zu gelangen. Kultur ist, wenn der Mensch seine Welt nützlich gestaltet und zugleich sich dem Unnützen, sprich Schönen, zuwendet, wenn er seine höheren psychischen Tätigkeiten - Religion, Philosophie, Wissenschaft - fördert und seine sozialen Beziehungen mittels eines allgemeinverbindlichen Rechts regelt und wenn außerdem auch "noch die Zeichen von Reinlichkeit und Ordnung" zu sehen sind. Gerade an letzterem Merkmal wird für den psychoanalytisch Geschulten deutlich, "in welchem Ausmaß die Kultur auf Triebverzicht aufgebaut ist" und dass sie von Anfang an - beginnend mit dem mächtigen Inzestverbot - dazu tendiert, das Sexualleben einzuschränken, zu unterdrücken oder überhaupt zu leugnen (wie das der Kinder). Doch gerät das menschliche Individuum nicht nur aufgrund seiner umtriebigen Libido in den Gegensatz zu den Anforderungen und Normen der Kultur, sondern auch noch durch einen anderen, von Freud als nicht minder mächtig eingestuften Trieb: den zur Aggression und (Selbst-)Destruktion. Freud stützt sich hierbei auf seine "Todestrieb"-Hypothese, die er in Jenseits des Lustprinzips (1920) dargestellt hatte. In der gesamten Kulturentwicklung der Menschheit manifestiere sich nichts anderes als der Kampf zwischen den beiden "Giganten" Eros und Tod. Wird die dem Menschen wesenhafte Aggression - im Zuge kultureller Sozialisation - verinnerlicht, so wendet sie sich als Gewissen gegen das eigene Ich und man wird, trotz Triebverzichts, dem gestrengen Über-Ich gegenüber die Schuldgefühle nicht los. Dieses durch die Kultur erzeugte Schuldgefühl bleibt zum großen Teil unbewusst und äußert sich als eben jenes Unbehagen, das Freud zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen gemacht hatte. Auf der einen Seite also das unvermeidliche individuelle Leiden in und an der Kultur - auf der anderen das der menschlichen Gattung inhärente kollektive Selbstzerstörungspotenzial. Der Vorwurf des Kulturpessimismus (auch aus den Reihen der Psychoanalyse) konnte da nicht ausbleiben, der Autor hat sich wohl schon präventiv darauf eingestellt, mit einer Portion Freud extra-dry, der man, der schwarzen Flecken der Menschheitsgeschichte eingedenk, nur schwer etwas entgegenhalten kann: "Eine Wertung der menschlichen Kultur zu geben liegt mir aus den verschiedensten Motiven sehr ferne. Ich habe mich bemüht, das enthusiastische Vorurteil von mir abzuhalten, unsere Kultur sei das Kostbarste, was wir besitzen oder erwerben können und ihr Weg müsse uns notwendigerweise zu Höhen ungeahnter Vollkommenheit führen." Gisela Steinlechner ist Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik der Uni Wien. Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften öS 131,-/EURO 9,52/ 192 Seiten Fischer, Frankfurt/Main 2001 (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29./30.9. 2001)