fondation.cartier.fr
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"Beschäftigen wir uns mit dem Begriff ,Kunst'. Und lassen wir Begriffe wie ,populär' oder ,zeitgenössisch' einmal beiseite. Kunst ist Kunst, wenn es ihr gelingt, eine visuelle Erfahrung zu schaffen, die eine emotionale Reaktion provoziert", versucht Diego Holly Romero im Katalog zur Ausstellung die etwas schwammigen Begriffe Volkskunst oder volkstümliche Kunst auf den Punkt zu bringen. In der Pariser Kunststiftung für zeitgenössische Kunst präsentiert der aus Santa Fe stammende Künstler Keramikteller. Bunt schillernde Keramikteller, die Geschichten erzählen. Die Geschichten seines Volkes. Die Geschichten der Puebloindianer New Mexicos, die mehr außerhalb als innerhalb der amerikanischen Massengesellschaft um ihre kulturelle Identität ringen. Ganz wie der traurige Clown Roxannes Swentzells, der selbstvergessen seine Verwundungen, seine Entwurzelung betrachtet. Beide Künstler bedienen sich der traditionsreichen Töpferkunst der Puebloindianer, um ihrer Wut, ihrer Ohnmacht fern jeder touristischen Folklore Ausdruck zu verleihen. Genau das war es auch, was Kurator Hervé Chandés mit "Un Art Populaire", einer Ausstellung mit 130 Werken von Künstlern aus Asien, Afrika, Europa, Latein- und Nordamerika, erreichen wollte: aufzuzeigen, dass Volkskunst mehr als exotisch anmutende Volkstümelei und handwerkliche Geschicklichkeiten aus fernen Ländern bieten kann. Ein Bagger, der wie eine gotische Kathedrale aussieht, in Perlen gegossene amerikanische Vorstadt- tristesse, brasilianische Tonfiguren am Operationstisch oder Alltagsszenarien aus dem Kongo: Werke von No-Names aus der so genannten Dritten Welt stehen in direkter Konfrontation mit jenen, die ihren Platz an der Sonne des internationalen Kunstmarktes schon lange gefunden haben. Der Unterschied ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Ob gefertigt in einem Großraumatelier in einer Kunstmetropole, oder notdürftig für den Wochenmarkt in einer Favela zusammengebastelt, eines haben die ausgestellten Künstler alle gemeinsam: Mithilfe einfachster Materialien verzaubern sie, hinterfragen sie, politisieren sie ihren Alltag. Manche aus Zigarettenstummeln, andere aus Knöpfen, wieder andere aus den Resten unserer Wegwerfgesellschaft. Arthur Bispo Do Rosario hatte nie von der Kunstbiennale in Venedig gehört. Auch Marcel Duchamp oder ein Begriff wie Minimal Art waren ihm unbekannt. Do Rosario verstarb 1989 in seiner Zelle einer Psychiatrieanstalt in Rio, wo er gezwungen war, 50 Jahre seines Lebens zu verbringen. Ein religiöser Wahn trieb ihn dazu, die Gegenstände seines Krankenhausalltags akribisch zu sammeln, zu ordnen und zu klassifizieren. Aus Löffeln, Plastikschachteln, Gummistiefeln und Münzen entstanden Materialsammlungen, die aufs Haar den Readymades glichen, die gerade draußen in der Freiheit en vogue waren. Jetzt sind sie Chris Burdens gigantischer Kriegsmaschine aus Kinderspielzeug und Mike Kelleys Knopfsammlungen der Erinnerung gegenübergestellt. Do Rosario kam post mortem zu Biennale-Ehren: 1995 wurde seine eigenwillige Klassifikation des Alltags im brasilianischen Pavillon der Weltöffentlichkeit präsentiert. --> Minimalistischer Purismus