Salzburg - In einer Hinsicht hat sich auch an den reformierten Festspielen der Ära Mortier/Landesmann nichts geändert. Am Ende, wenn die Rezensenten der hiesigen Blätter schon auf dem Zahnfleisch hören, wenn das Erlebte mit dem Erhofften und das Unerhörte mit dem Vernommenen nur noch mit größter Konzentration in Einklang zu bringen ist, dann klotzt der Veranstalter noch einmal kräftig mit den Berliner und Wiener Philharmonikern.

Auf die Gewissensfrage, welches Stück, welche Darbietung in diesen beiden letzten Konzerten zweier bewundernswerter Ensembles mit jeweils tatkräftigen, über die Maßen fähigen Dirigenten und zwei Pianisten von hohem Anbetungswert am meisten imponiert hat, zögert man nicht, sich bei einer dem Klassisch-Romantischen verbündeten Leserschaft ins publizistische Zwielicht zu setzen.

Akustisch begehbar

Es schien am Sonntagvormittag, als Simon Rattle zwischen den Beethoven-Klavierkonzerten Nr. 2 und 5 die komplizierten, messerscharf durchkomponierten Schönberg-Variationen op. 31 gleichsam akustisch begehbar machte, als wäre mit dieser Aufführung ein musikpädagogischer Quantensprung vollzogen.

So planvoll und dennoch selbstverständlich, so liebevoll im Detail und so unnachgiebig in der satzübergreifenden Botschaft wird man diese an sich ja immer noch unbequeme Musik kaum je zu Gehör bekommen. Fast mochte man schon mitsummen, wenn etwa die Solovioline operettenselig hervorgebeten ward, fast mochte man am Ende den Musikern einzeln die Hand schütteln, ob einer solch umgangsprachlichen Auflösung einer über viele Jahrzehnte hinweg als fremdsprachlich verrufenen Musik.

Alfred Brendel beendete an diesem Vormittag sein Projekt der fünf Beethoven-Konzerten - mit gut gelaunten, nicht immer ganz folgsamen, indes für alles Schelmische, Lyrische und Pikante bestens aufgelegten Fingern im frühen B-Dur-Konzert, mit festlicher, klavierorchestraler Gebärde im Es-Dur-Konzert (op.73), dessen zweiter Satz mit indirekten Beleuchtungen und träumerischen Tastenschmeicheleien als eine Art Handreichung zwischen Beethoven, Novalis und den guten Geistern der Romantik zu beschreiben wäre.

Maurizio Pollini am Abend zuvor zeigte mit dem d-Moll-Konzert von Brahms (op. 15), wie heftig er sich in düsteres Geschirr legt, wie nah ihm die brütenden Temperaturen, die wühlenden Passagen des Kopfsatzes sind. Abbado mit den Berlinern leistete echte Freundesdienste und nach der Pause auch mit Dvoraks e-Moll-Sinfonie einen schönen Beitrag zum Thema Wunschkonzertfestival.

Ein wenig weniger konventionell hätte es zum Ausklang dieser Gastorchesterfestspiele schon sein können, zumal man manches aus der Theorie des Alternativen im Ohr behalten hat.

(DER STANDARD, Print, 31.08.2001)