Alpbach - Für eine heftige Kontroverse sorgte der österreichische Philosoph Rudolf Burger mit seinem "Plädoyer für das Vergessen" auch in Alpbach. "Wenn die Serben 1389 und das Amselfeld endlich vergessen hätten, wäre dem Balkan viel erspart geblieben", sagte Burger. Klare Ablehnung gegen einen Schlussstrich unter den Holocaust äußerten die übrigen Teilnehmer der Diskussion, darunter der Vorsitzende der österreichischen Historikerkommission, Clemens Jabloner, und der österreichische Sonderbotschafter für Restitutionsfragen, Ernst Sucharipa. Burger argumentierte, Geschichte sei in Wahrheit eine Konstruktion der Gesellschaft und diene als solche auch politischen, ökonomischen, ethnischen, nationalen und religiösen Interessen. "Die Geschichte lehrt nichts, aber rechtfertigt alles, was man will." Burger nannte Schätzungen, wonach durch staatliche Verbrechen im 20. Jahrhundert 170 Millionen Menschen getötet worden sein, davon würden viele Gräuel nicht aufgearbeitet. Heftige Kritik übte der Philosoph auch an der Auseinandersetzung des Holocaust in der Kunst. So sei der Film "Schindlers Liste" des US-Regisseurs Steven Spielberg eine Art "Auschwitz als Jurassic Park mit einem Schuss ET." Es sei "unerträglich", dass Spielberg in seinem Streifen "noch ein Happy End daraus macht". "Schlussstrich" hätte traumatische Auswirkungen Die Formel "Einmal muss Schluss sein", werde der zu Grunde liegenden Frage nicht gerecht, sagte Sucharipa. Österreich könne sich seiner Verantwortung im Nationalsozialismus nicht entziehen. Der Vermögensraub an NS-Opfern sei die am weitest gehende Verschiebung von Vermögen, die Österreich je erfahren habe. Ein Schlussstrich unter die NS-Verbrechen hätte zudem "traumatische Auswirkungen auf das internationale Bild Österreichs". Jabloner "kann das Durchschlagende am Konstruktivismus-Argument (Burgers) nicht erkennen". Dieses drohe letztlich in die Irrationalität zu führen. Auch er "halte leere und ritualisierte Formen des Gedenkens für sinnlos", fügte Jabloner hinzu, ein negatives Beispiel sei die Gedenkfeier im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen, ein positives dagegen das Holocaust-Mahnmal am Judenplatz. Kritik übte Jabloner auch an der "Kronen-Zeitung" und ihrer "offen antisemitischen Spalte", obwohl das Blatt gleichzeitig die österreichischen Restitutionsverhandlungen unterstützt habe. "Lüge wieder aufleben lassen" Die Simon-Wiesenthal-Biografin und Journalistin Hella Pick sah in Burgers Thesen den "Versuch, die große Lüge wieder aufleben zu lassen" und den Holocaust "unter den Teppich kehren zu wollen", ein Vorwurf den der Philosoph "nicht einmal dementieren will". Pick: "Österreich kann nur dann eine gesunde Gesellschaft sein, wenn es seine Katharsis durchgemacht hat." Die Österreicher hätten seit dem Israel-Besuch von Ex-Kanzler Franz Vranitzky 1993 verstärkt ihre Täter-Rolle in der NS-Zeit verstanden, sagte der US-Sonderbotschafter für Holocaustfragen, James Bindenagel. Der Holocaust sei keine Frage von Kollektivschuld, sondern von Zivilcourage. "Es ist nicht die Frage, was wir über den Holocaust wissen, sondern was wir daraus gemacht haben", sagte der US-Botschafter. Man müsse verstehen, dass Fremdenhass, Rassismus, Ignoranz und Intoleranz die Ursachen des Holocausts gewesen seien. "Es fängt an mit Worten." Entschädigungszahlungen nicht begonnen Die Vorsitzende der russischen Zwangsarbeiter-Entschädigungsstiftung, Ljudmila Narussowa, kritisierte, dass die Auszahlung von Entschädigungen an russische Zwangsarbeiter von Seiten Österreichs und Deutschlands nicht begonnen hätten. "Jeden Tag sterben hundert Menschen und erleben die Entschädigungen nicht mehr." Auch der Leiter des Völkerrechtsbüros im Außenamt, Hans Winkler, widersprach Burgers These, die Menschen würden aus der Geschichte nichts lernen. Die Tribunale für Ruanda und Ex-Jugoslawien sowie der geplante Internationale Strafgerichtshof würden dies widerlegen. "Es gibt so etwas wie die internationale Moral." (APA)