Es war eine der bezeichnenden Schlüsselstellen in der Pressekonferenz der ÖGB-Spitze. Die Vizepräsidentin Renate Csörgits, die eine heiße Woche lang die Geschäfte des Gewerkschaftsbundes zu führen hatte, war nicht in der Lage, ihre innerhalb von wenigen Tagen gemachten divergierende Angaben über die Höhe ihrer Bezüge als Gewerkschaftsfunktionärin und als Nationalratsabgeordnete zu erläutern. Noch am Freitag der Vorwoche hatte Csörgits ihren Nettobezug als Nationalratsabgeordnete mit rund 20.000 Schilling angegeben. Am Montag waren es dann um rund 16.600 Schilling mehr. Nach peinlichem Befragen, wie diese verschiedenen Angaben zu verstehen seien, meinte die ÖGB-Vizepräsidentin, die ursprünglich genannten 20.000 Schilling und der fehlende Betrag seien "in etwa" zu verstehen. Umgang der Gewerkschaftsspitze Das ist nicht "in etwa", sondern mit Sicherheit eine Fehlleistung der besonderen Kategorie. Denn von rund 16.600 Schilling - netto wohlgemerkt - leben in Österreich eine Menge Menschen, und denen wird es nicht egal sein, ob eine Vizepräsidentin des Gewerkschaftsbundes solche Beträge mit "in etwa" abtut. Vielmehr erhebt sich für viele die Frage, ob es nicht letztlich der Umgang der Gewerkschaftsspitze mit dem Gagenskandal in der Postgewerkschaft war, der die Krise der großen Arbeitnehmervertretung ausgelöst hat. Der Gagenskandal in der Postgewerkschaft besteht ja nicht darin, dass Personalvertreter, die für zigtausend Arbeitnehmer ebenso verantwortlich sind wie Arbeitgeber, Dienstautos haben. Diese sind nebenbei bemerkt außerordentlich sinnvoll, wenn die Verrechnung von Kilometergeld sehr viel teurer kommt. Auch ist es müßig, darüber zu diskutieren, ob Arbeitnehmervertreter einen Mercedes fahren oder persönlich reich sein dürfen. Das alles ist erlaubt. Nicht erlaubt ist jedoch, dass sich Arbeitnehmervertreter persönliche Vorteile zulasten der von ihnen Vertretenen verschaffen oder so abgehoben agieren, dass man sich fragen muss, ob sie überhaupt noch wissen, wie Mann oder Frau in diesem Land mit "in etwa" 16.600 Schilling netto monatlich leben. Hilfloses Krisenmanagement Dies ist auch der Kern der Krise, die der ÖGB derzeit offenkundig durchlebt, auch wenn es vom ÖGB-Chef abwärts alle Funktionäre nicht wahrhaben wollen. Sie ist allerdings nicht erst seit dem neuen Gehaltsschema in der ausgegliederten Post zu beobachten. Vielmehr macht der österreichische Gewerkschaftsbund seit der Bildung der schwarz-blauen Regierung eine Entwicklung durch, mit der die Gewerkschaften in anderen Ländern schon länger kämpfen. Durch die jahrelang praktizierte sozialpartnerschaftliche Konsenspolitik ist der ÖGB aber noch weniger als die Gewerkschaften anderswo in der Lage, darauf angemessen zu reagieren, wie der Fall Dörfler und das hilflose Krisenmanagement der Gewerkschaftsspitze überaus deutlich zeigen. ÖGB muss seine Rolle überdenken In Zeiten der Konfliktdemokratie wird dem ÖGB aber nichts anderes übrig bleiben, als seine bisherige Rolle zu überdenken, die in erster Linie darauf ausgerichtet war, gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Das funktioniert mit Sicherheit nicht mehr. Im Gegenteil, je länger der ÖGB seine ihm jahrzehntelang zugeordnete Rolle weiter ausübt, desto mehr wird er auf der politischen Bühne in die Defensive gedrängt. In welche Richtung das geht, zeigt der am Montag vom Kärntner Landeshauptmann präsentierte "Ehrenkodex" gegen Privilegien. Hinter den darin erhobenen Forderungen steht die eindeutige Absicht einer Zerschlagung der Gewerkschaften und des Betriebsratssystems. Arbeitslosigkeit, soziale Spaltung, prekäre Arbeitsverhältnisse, Angriffe auf die soziale Sicherung, Abbau öffentlicher Leistungen haben die Gewerkschaften ohnedies in die Defensive gedrängt. Arbeitnehmervertreter, die sich korrumpieren lassen und so der Zerschlagung ihrer Organisation Vorschub leisten, werden darauf kaum Antworten geben können. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 28.8.2001)