Die Fledermaus", Wappentier eines Nationalstolzes, der nur noch vom Stolz auf unsere schöne Landschaft und auf das Skiteam übertroffen wird, soll nach Auffassung vieler Beobachter in Salzburg nicht so gut angekommen sein. Da könnte uns ein Belgier ein Straußenei gelegt haben, weshalb sich sofort die FP-Sicherheitssprecherin Helene Partik-Pablé einschaltete. Selber für geistreiche Gesellschaftskritik bekannt, musste sie nun erkennen: "Geboten wurde eine geschmacklose und an den Haaren herbeigezogene Gesellschaftskritik mit eingestreuten Straußmelodien. Wenn schon Kunst nicht ohne Provokation auskommen kann, so soll zumindest die Provokation geistreich sein, die Musik unangetastet bleiben." Quel esprit! Ein anderer kulturbeflissener Freiheitlicher, ein Herr Böhacker, empfahl, ohne die Aufführung gesehen zu haben, eine "Geld-zurück-Aktion", der sich die amtliche "Wiener Zeitung" mit dem Titel Fordern Sie bitte Ihr Geld zurück! spontan, aber eher unärarisch anschloss. Der Appell kam an: Sechs Karten wurden retourniert. Wir aber, die wir auch nicht dabei sein mussten, wollen post festum der einzig wichtigen Frage nachgehen: War diese Inszenierung nun ein Skandal oder nicht? Wenn man der "Kronen Zeitung" glauben will - ja. Wüste Szenen bei Salzburger Festspielen: Riesenwirbel um die "Fledermaus" titelte sie Sonntag, und wenn Kultur solche Formen annimmt, darf sie auch auf Seite 1 vorkommen. Auf der Kulturseite fasste der Kritiker den Sachverhalt mit den geflügelten Worten zusammen: Schande, Skandal, Frechheit, Scheiße. "Die Presse", in Moralfragen oft auf "Krone"-Linie, lizitierte Montag: Denn die Proteste, die sich dort während und nach der Vorstellung ereigneten, genügen, um die Premiere als größten Skandal der bisherigen Festspielgeschichte in die Annalen eingehen zu lassen. So viel Geschichtsbewusstsein lässt sich schwerlich übertrumpfen, daher machten die "Salzburger Nachrichten" ihren Heimvorteil gar nicht erst geltend. Sie titelten gelassener: "Fledermaus": Eine nachhaltige Erregung, und sabotierten die allgemeine vaterländische Exaltation, indem sie einräumten: Der Aufruhr im Publikum knapp vor der Pause beruhigte sich später ein wenig, und am Ende machte sich lautstark ein Lager der Gegner bemerkbar, ein ebenso lautstarkes Lager der Befürworter hielt dagegen. Also was nun? Glaubt man den deutschen Blättern, war von einem Skandal überhaupt keine Rede - aber was verstehen die Piefkes schon von der österreichischen Seele! An diesem Punkt - nach dem Couplet des Orlofsky, so die "Süddeutsche Zeitung" - hätte der Abend, der die Schändung größten österreichischen Kulturguts versucht, zumindest noch zu einem echten Theaterskandal werden können. Doch leider erreicht Hans Neuenfels in keinem weiteren Moment mehr die Intensität dieser Provokation, gibt sich statt dessen damit zufrieden, die sattsam bekannten ideologischen Positionen der siebziger Jahre noch einmal für seine "Fledermaus" aufzuwärmen. Ein alter Hut demnach. Die "Frankfurter Allgemeine" konstatierte schon Tierquälerei, aber: Es wurde streckenweise sterbenslangweilig. Langweilig! Die "Fledermaus"! Wo doch Peter Vujica im "Standard" diagnostiziert hat: Eine Fledermaus zum Kotzen. Als könnte man sich beim Kotzen langweilen. Nein, die Fachkritik ist unbeständig, wer Klarheit will, muss sich an das Bodenständige halten. Also an den Adabei der "Kronen Zeitung". Saure Gesichter an der Salzach - nach der von "Buh"-Rufen zugeschütteten "Fledermaus"-Premiere mit einem kokssüchtigen, krächzenden Prinzen Orlofsky. Was soll denn auf einmal die Aufregung über das Krächzen? Beim anschließenden Empfang auf Schloss Hellbrunn mokierten sich da Sonja Kirchberger, Udo Jürgens, RTL-Chef Hans Mahr, Katja Burkart, Sunnyi Melles, Peter Sayn-Wittgenstein, Hotelerbin Bettina Steigenberger und Roberto Blanco lautstark über die Inszenierung von Hans Neuenfels. Endlich die klare, eindeutige Stimme des Volkes. Kunst-Lady Agnes Husslein ahnte schon zuvor Schlimmes und beschloss: "Bevor ich mir diese ,Fledermaus' in Salzburg geb, geb ich mir lieber die Rebläuse in Pörtschach!" Als sie vor der letzten Wahl sich und erlesenen Gästen das Couplet des Thomas Prinzhorn gab, war sie mit dem Ahnen noch nicht so fix. Aber Tragik pur fand sich nicht in der "Krone", sondern in den "Oberösterreichischen Nachrichten". Einen berührenden Moment hatte man schon vorher erlebt. Sunnyi Melles stand in der Pause der Vorstellung draußen, über ihre Wangen liefen dicke Tränen, und sie musste sich von Sonja Kirchberger trösten lassen. Sunnyi dann in Hellbrunn: "Ja, ich schäme mich nicht für meine Gefühle. Über diese "Fledermaus" war ich sehr bestürzt." Tragischer nur noch die in der "Krone" vermeldete Verzweiflung einer im Laufe der Darbietungen erblassten und erbosten Dame. "Ich lasse mir von so was nicht die Kindheit stehlen." Sie wird souverän von Adabei-Ersatz Lisi Weichselbaumer getröstet: Kindheit ist so viel, gnädige Frau. Das kann doch der Herr Neuenfels nicht mit einem Klacks auslöschen, Kindheitsdieb der! Frau Melles aber hätte sich besser von einem gestandenen Fledermäuserich trösten lassen sollen. Emotioneller sah es Mörbisch-Intendant Harald Serafin, der immerhin über 700-mal in verschiedenen "Fledermaus"-Produktionen als Eisenstein auf der Bühne gestanden war. "Noch nie", kommentierte er, "habe ich eine so fade Aufführung gesehen. Das war ja nicht einmal ein Skandälchen." Also das ist - ein Skandal. (Günter Traxler, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 21. August 2001)