Deutschlands Wirtschaftsforscher haben erneut ihre Prognosen korrigiert. Nach unten, versteht sich. Gerhard Schröder, der seit Wochen eine "Politik der ruhigen Hand" propagiert, hat gegen die Experten gewettert. Sie machten nur schlechte Stimmung und bewirkten gar nichts. Tatsächlich spielen Wirtschaftsforschungsinstitute eine ähnliche Rolle wie die Analysten an den Finanzmärkten: Sie irren dauernd und beziehen daraus ihre Kompetenz. Über die wahren Verhältnisse können sie meist wenig aussagen, ebenso wenig wie die Analysten über den wahren Wert eines Unternehmens. Erst vergangene Woche hat ein Manager der Deutschen Telekom die gesamte Bewertung durch die Aktienmärkte infrage gestellt. Nach umstrittenen Verkäufen von Telekom-Aktien durch die Deutsche Bank war der Kurs des Unternehmens in den Keller gerasselt. Tatsächlich wird es für alle Beteiligten immer schwieriger, zu kontrollieren oder gar einzugreifen, von Gestaltung gar nicht zu reden. Polemik Natürlich hat Bundeskanzler Schröder Recht, wenn er gegen zu viel Lärm polemisiert. Wirtschaft ist auch eine Frage des Klimas der Atmosphäre. Zu viel Schwarzmalerei kann leicht zur selbsterfüllenden Prophetie werden. Allerdings ist Schröders Apologie der ruhigen Hand auch das Eingeständnis beschränkter Handlungsmöglichkeiten. Die europäische Wirtschaft hat sich von ihren Staaten emanzipiert. Der Sog der Globalisierung hat zu neuen Gesetzen geführt. Diese sind nicht von Parlamenten verabschiedet worden, sondern gehorchen den Regularien der Märkte. Vielfach wird gesagt, dass wir es mit einer Amerikanisierung des europäischen Wirtschaftslebens zu tun haben. Dies bedeutet: größere Einheiten, weniger soziale Sicherheit, hohe Mobilität. Die einheitliche europäische Währung wird den Eindruck eines großen gemeinsamen Wirtschaftsraumes verstärken. Europa wird sich mit Amerika vergleichen und wird verglichen werden. Dabei besteht allerdings die Gefahr von Kurzschlüssen: Die größeren Einheiten in den USA sind multinationale Konzerne mit amerikanischer Steuerung. Ihr Selbstverständnis ist expansiv. DaimlerChrysler scheint dies, bei allen Schwierigkeiten, verstanden zu haben und agiert wie ein US-Konzern: Kostensenkungen, Erhöhung der Produktivität, Massenentlassungen. Die meisten innereuropäischen Merger dagegen teilen sich Märkte auf. Selbst für DaimlerChrysler ist es nicht so einfach, dasselbe Programm in Deutschland durchzuziehen. Opel muss saniert werden und wird vor einem möglicherweise langwierigen Arbeitskampf stehen. Vodafone hat Mannesmann zwar geschluckt, die großen Synergien sind jedoch ausgeblieben. Sie werden nur kommen, wenn die Kosten nachhaltig gesenkt, also Arbeitnehmer entlassen werden. Hier liegt die größte Gefahr: Europas Arbeitnehmer sind nicht so mobil, weil ihnen die Sprache Grenzen setzt. Sie sind auch nicht gewohnt, ohne staatlich-soziale Sicherungen zu leben. Die Arbeitslosenzahlen sind jetzt schon viel zu hoch. Das Problem der Politik: Sie kann die Entwicklung tatsächlich nicht mehr steuern. Das letzte große Versagen der meisten europäischen Länder ist die Lizitation bei den UMTS-Lizenzen gewesen. Die Staaten wollten sich auf Kosten der Wirtschaft sanieren. Eigentlich kann Gerhard Schröder nur eines tun: die Steuern senken, um wenigstens den Standortnachteil Deutschlands auszugleichen. Danach wird er Moderator sein und den großen Umbrüchen zusehen, die Europa noch erschüttern werden. (Michael Maier, DER STANDARD, Printausgabe 20.8.2001)