Heidelberg/Wien - "Man kann in der Apotheke Maschinen aufstellen. Da gibst einen Tropfen Blut auf einen Chip und dann kommt dein Genom heraus. Das sagt dir dann, wo du Risiken hast für deine Krankheiten." Wenn Annemarie Poustka über die künftigen Möglichkeiten der Bioinformatik und -technologie nachdenkt, kommt immer wieder dieses futuristische Idealbild. Und Frau Poustka muss es wissen. Die gebürtige Niederösterreicherin avancierte dieses Jahr zur Koordinatorin des deutschen Genomforschungsnetzes, der groß angelegten Kooperation Hunderter Wissenschafter an den renommiertesten Instituten und Universitäten. Sie leitet die Genomanalyse-Abteilung am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Wo steht die Entwicklung der DNA-Chips (siehe links) bei der Krankheitsprognose wirklich? Was kann die neue Technologie, der wir laut einzelner Forscher und Firmen sogar revolutionär neue Medikamente verdanken werden, bei Diagnose und Therapie? "Ich erwarte einen ganz großen Boom", sagt Poustka im STANDARD-Gespräch, "wir haben erste Ergebnisse, beim Krebs sind wir am weitesten." Gene im Vergleich Und so funktioniert der biologische DNA-Chip: Die Geninfo des Gewebes wird auf ihn aufgebracht und danach mit Computern ausgewertet. Analysiert wird, "wie viele und welche Gene in viel größerer oder kleinerer Kopienzahl auftreten im Vergleich zum Normalgewebe" (Poustka). Solche Chips gebe es schon für Leukämien. Generell versucht die Bioinformatik, in den Einzeldaten Muster zu erkennen, die dann für die Diagnose dienen können. "Beim Nierenkrebs", berichtet Molekularbiologin Poustka, "haben wir bereits so einen Diagnostik-Chip, mit dem wir anhand der 40 beteiligten Gene ein klarzelliges Karzinom vom weniger gefährlichen chromophoben unterscheiden können." Für die Behandlung erwartet Poustka eine wahre Revolution. Das Problem, dass etwa eine Kopfwehtablette beim einen wirkt, beim anderen nicht, soll der Vergangenheit angehören. Der Grund für die unterschiedliche Wirkung liegt im individuell verschiedenen Genom jedes Menschen. "Je mehr Gene man jeweils kennt", ist Poustka überzeugt, "desto mehr maßgeschneiderte Medikamente wird man finden." Neben Diagnose und Medikamentenentwicklung unterstützt die Chiptechnologie auch die Vorhersage (Prädiktion) von Erkrankungen. "Eine Probe Ihrer DNA", illustriert Poustka, "würde mir mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, ob Sie Morbus Huntington bekommen. Sie können auch erfahren, ob Ihr Kind die Krankheit vielleicht mit 30 oder 40 Jahren kriegt." Und was mache ich mit so einer Prognose? "Zuerst einmal gar nichts", gesteht Poustka, "weil es ja noch keine Therapie gibt. Dann muss man warten." Der Noch-nicht-Patient Generieren wir mit der Prädiktion nicht Wissen, ohne zu wissen, was damit tun? Kommt hier nicht eine große psychische Belastung auf viele Noch-nicht-Patienten zu? Was muss der Arzt anders machen, damit eine Prädiktion nicht zur Depression führt? "Das geht ja parallel zur Entwicklung von neuen Therapien", versichert Poustka. Und wann kommt das Ganze? "Es ist noch ein weiter Weg", räumt Poustka ein, "mit den ersten Erfolgen rechne ich in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Es gibt sicher Krankheiten, wo man mit Chips gar nichts erreichen wird." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18./19. 8. 2001)